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Während international die großen Räder gedreht werden, arbeitet sich der hiesige Kunstmarkt an Altlasten und einem mitunter allzu fürsorglichen Staat ab, der es bei sich selbst hingegen nicht immer so genau nimmt. Gurlitt, Raubkunst und Kulturgutschutzgesetz waren im abgelaufenen Jahr die drei großen Themen, die zudem alle miteinander zusammenhängen.
Den Sack schlagen, wenn man den Esel meint. An diese Redensart gemahnt die Berichterstattung zum Bericht der Gurlitt-Taskforce, der praktisch keine Erfolgsmeldungen enthält. Ob Jens Bisky, Catrin Lorch und Jörg Häntzschel in der Süddeutschen Zeitung, Michael Sontheimer im Spiegel, Samuel Herzog in der NZZ, Andreas Kilb in der FAZ, Hans-Joachim Müller in DIE WELT oder Marcus Woeller im selben Medium, die Kommentatoren lassen kaum ein gutes Haar an der Taskforce und ihrer Leiterin Ingeborg Berggreen-Merkel. Dabei wird nicht nur sie froh sein, dass dieses unwürdige Schauspiel vorläufig ein Ende hat. Nur Julia Voss erinnert in der FAZ noch einmal ausführlich an den Sammler Cornelius Gurlitt und wie er völlig zu Unrecht in die Mühlen der Justiz geraten war. Immerhin kann jetzt Kulturstaatsministerin Monika Grütters vorerst aufatmen, hat sie doch an dieser Front erst einmal Ruhe und mit Berggreen-Merkel auch gleich einen Sündenbock.
Etwas weiter gefasst betrachtet Swantje Karich den Abzug von Kunstwerken aus deutschen Museen in DIE WELT und stellt fest: "Fragt man bei den betroffenen deutschen Häusern nach, wird immer wieder auf den Reiz des höchsten Preises verwiesen, der nun mal im Ausland zu erreichen sei - auch ohne Kulturgutschutzgesetz. Doch die Sorge der Sammler, dass sie bald Anträge bei den Länderbehörden stellen müssen, bevor sie ihre Kunst in London verkaufen, befeuert die Ausfuhrzahlen."
Wenn Unternehmensberater öffentliche Haushalte nach Einsparmöglichkeiten durchforsten, passiert in der Regel so etwas: Wie Monika Klein in der Rheinischen Post meldete, schlägt KPMG der Stadt Leverkusen unter anderem vor, das Museum Morsbroich zu schließen um damit 780.000 Euro im Jahr zu sparen. Damit könnte man auch das Depot auflösen und sogar Geld einnehmen. Den prompt anhebenden Protest gegen die angeblich drohende Schließung verbreitet Dorothea Hülsmeier in einer dpa-Meldung bundesweit, etwa in der Südwestpresse. Lokalpolitiker aller Parteien zeigen sich erschüttert, Museumsdirektoren und Künstlerstars erklären sich solidarisch, die Empörungsmaschine läuft auf Hochtouren. Swantje Karich zitiert in DIE WELT aus einem offenen Brief Gerhard Richters. Dabei haben die Erbsenzähler lediglich ihren Auftrag gewissenhaft ausgeführt. Ob wirklich ein Lokalpolitiker die Schließung des Museums auf seine Kappe nehmen würde, ist allerdings zweifelhaft. Das Dilemma, in dem die unter finanzieller Kuratel durch das Land stehende Stadt steckt, beschreibt Christiane Fricke im Handelsblatt vom 26. Februar: "Was bleibt zu tun? Eigentlich ein Skandal. Die Bayer Stadt nimmt schon seit den 1990er-Jahren viel zu wenig Gewerbesteuern ein. Und auf Sponsoren kann die Kommune nicht hoffen, da die bekanntlich an intakte Strukturen andocken. Auch Mäzene sind nicht in Sicht und eine Stiftung erst recht nicht. Sie bräuchte, um arbeiten zu können, ein Kapital von 50 Millionen Euro. Wer hat das schon?"
Durch das neue österreichische "'Bundesgesetz über die Rückgabe unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter', kurz Kulturgüterrückgabegesetz (KGRG)" hat sich Olga Kronsteiner für das Handelsblatt gearbeitet. Die Regelung sei praxisnäher als die deutsche, beim Thema Raubkunst bestehe jedoch Nachholbedarf.
Über den Fall Gurlitt hat die Tagesspiegel-Redakteurin Nicola Kuhn zusammen mit der Provenienzforscherin Meike Hoffmann ein Buch geschrieben, das Wolfgang Ruppert in der taz bespricht: "Das Hauptergebnis des Buches besteht darin, zu zeigen, dass sich der ganz überwiegende Teil der Sammlung des Kunsthändlers aus Nachlässen des Großvater, der Schwester, Werken zahlreicher befreundeter modernistischer Künstler sowie Ankäufen aus mehreren Jahrzehnten zusammensetzt."
Den bevorstehenden Ausverkauf der Kunstsammlung des WDR kritisiert Christiane Fricke im Handelsblatt vom 20. Mai: "Am Ende sendet der Verkauf der WDR-Kunstsammlung desaströse Signale in gleich mehrere Richtungen aus: Erstens unterminiert er das Vertrauen in das kulturelle Selbstverständnis einer weiteren öffentlich-rechtlichen Institution (nach dem Verkauf der WestLB-Sammlung und den Schließungsplänen für das Museum Schloss Morsbroich). Und zweitens ist er ein Schlag ins Gesicht des deutschen Kunsthandels, dem ein gutes Verkaufsergebnis offenbar nicht zugetraut wird. Warum wurde nicht gezielt in deutschen Häusern platziert? Das Karl-Hofer-Bild etwa bei Van Ham, wo das Werkverzeichnis erstellt wurde und Hofer erfolgreich vermarktet wird. Oder die Arbeiten von Beckmann in der Villa Grisebach in Berlin, wo sie immer wieder sehr gute Preis gemacht haben?"
Noch vor der Sommerpause soll das Kulturgutschutzgesetz durch den Bundestag gedrückt werden. In der Süddeutschen Zeitung vom 8. Juni geht die Konstanzer Jura-Professorin Sophie Schönberger mit dem Entwurf noch einmal hart ins Gericht. Das Gesetz verweigere Antworten auf Fragen, die zu stellen es vermeide: "Was ist 'eigenes', was 'fremdes' Kulturgut? Um warum muss das Eigene in Deutschland bleiben? Hinter allen diesen drei Punkten stehen sehr grundlegende Fragen über die Bedeutung von Kulturgütern in einer Gesellschaft. Welche Rolle will man einer Unterscheidung zwischen dem 'Eigenen' und dem 'Fremden' zuweisen? Will man die 'eigenen' Kulturgüter im Inland festhalten, sie für das Ausland verschließen, oder lässt man sie als Botschafter der eigenen kulturellen Wurzeln in der Welt wirken? Wie soll der schwierigen Doppelnatur von Kulturgütern, die zugleich Wirtschaftsgüter sind, begegnet werden? Wie frei soll und darf der Handel mit Kulturgütern sein? Welche Rolle kommt öffentlichen Museen bei der Sammlung von Kulturgut zu, welche den privaten Sammlern?" Die gefundenen Lösungen seien nicht nur unpraktikabel, sondern sondern auch aus der Zeit gefallen: "Bei dieser Politik stiftet Kultur Identität nur noch für sich selbst. Damit schafft es der Entwurf, die schwierige Frage nach der Identität völlig unbeantwortet zu lassen und gleichzeitig so pauschal und unreflektiert mit dem Topos des 'Nationalen' zu arbeiten, wie dies heute nur noch im Bereich der Kulturpolitik ohne kritische Debatte möglich ist."
Die erste Hürde hat das Kulturgutschutzgesetz genommen. Nach der Verabschiedung im Bundestag letzte Woche dürfte das Gesetz vom Bundesrat allerdings kaum so leicht durchgewunken werden, wie Jörg Haentzschel in der Süddeutschen Zeitung schreibt. In der ZEIT stellt Thomas E. Schmidt die Sinnfrage: "Man muss fragen, was den Gesetzgeber antrieb, eine Debatte über das 'nationale Kulturgut' anzuzetteln. Was das eigentlich sei, und in welchen Kunstobjekten das deutsche Wesen denn zum Ausdruck gelange, interessierte bis vor Kurzem kaum jemanden. Jahrzehntelang existierten ein paar lustlos gepflegte Listen, auf denen bedeutsame Gegenstände notiert waren, reine Expertensache. Doch plötzlich unterstellt der Gesetzgeber dringlichen Abwanderungsschutz. Wovon? Von etwas, das der Staat künftig erst bestimmen will."
Fakten sind in Diskussionen, die auf diesem Niveau geführt werden, eher störend. Daher scheint in Deutschland auch niemand von der Arbeit des Orientalistik-Instituts der Universität von Chicago Kenntnis zu nehmen. Dessen Mitarbeiterin Fiona Rose-Greenland hat schon Anfang des Monats auf Scroll.in darauf hingewiesen, dass die bisher zirkulierenden Zahlen über die Gewinne des IS aus dem Handel mit geraubten Antiken von bis zu 7 Milliarden US-Dollar möglicherweise um mehr als den Faktor 1.000 zu hoch gegriffen sind. Die Marge der Terroristen in der Verwertungskette sei relativ gering. Es handele sich wohl eher um 4 Millionen.
Dabei hat der Staat offenbar genügend eigene Dreckecken, um die er sich mal kümmern könnte. So soll Bayern von den Monuments Men nach dem Zweiten Weltkrieg sichergestellte Raubkunst entweder den eigenen Museumsbeständen einverleibt oder postwendend an die ehemaligen Räuber zurückverkauft haben, wie Jörg Häntzschel und Catrin Lorch in der Süddeutschen Zeitung berichten.
Jetzt ist es passiert: In seiner Marathonsitzung vor der Sommerpause hat der Bundesrat auch das Kulturgutschutzgesetz durchgewunken. Die wichtigsten Bestimmungen listet Anna Blume Huttenlauch in der Süddeutschen Zeitung auf. (Speichern, Ausdrucken, Auswendiglernen!) Das Gesetz selbst ist hier nachzulesen.
Spät, aber deutlich, bezieht jetzt die Süddeutsche Zeitung Stellung. Andrian Kreye schreibt: "Allerdings findet Kapital immer Wege, der Bürokratie zu entkommen. Und die neuen Ausfuhrregeln sind nur Teil drei jener Neubestimmungen, die seit einiger Zeit die Galerienwelt ins Ausland treiben. Zuvor wurde schon die Mehrwertsteuer für den Kunsthandel von 7 auf 19 Prozent erhöht sowie der Anteil am Verkaufspreis, der an die Künstlersozialkasse geht: von 1,5 auf 5 Prozent. Und das alles zu einer Zeit, da der Brexit dem starken Londoner Kunsthandel ohnehin eine attraktive außereuropäische Sonderstellung garantiert. Der Effekt wird sein, dass all die Galerien, die nun abwandern oder schon geflüchtet sind, auch keinen deutschen Nachwuchs mehr fördern können. Dadurch schadet das Gesetz der Kulturnation Deutschland erheblich. Denn neben der klassischen Musik ist die bildende Kunst der einzige deutsche Kulturexport von Weltrang."
Einige der selbstgebastelten Argumente schlägt Sylvia Furrer Hoffmann den Verfechtern einer harten Gangart gegen den angeblich terrorfinanzierenden Kunsthandel in der NZZ aus der Hand: "Interessant ist, dass Kulturgüter aus dem Irak oder aus Syrien, deren Herkunft als illegal angenommen werden muss, bis jetzt nicht im Handel angeboten wurden und in der Schweiz kaum in Erscheinung getreten sind. Einen Hinweis auf das fehlende Angebot gibt der deutsche Zollbericht von 2015, der Antiken nicht einmal erwähnt."
Eine düstere Zukunft prophezeien Alexander Forbes und Isaac Kaplan dem deutschen Kunstmarkt auf Artsy. Das Kulturgutschutzgesetz sei dabei nur das letzte in einer ganzen Reihe von regulatorischen Hemmnissen nach Mehrwertsteuer, Künstlersozialkasse, Folgerecht. Der deutsche Kunstmarkt werde wahrscheinlich den Weg vieler kleiner und mittlerer Galerien gehen, die sich mit sperriger junger Kunst abmühten, ohne von den späteren Erfolgen ihrer dann abgewanderten Künstler profitieren zu können.
Die Diskussion um das Kulturgutschutzgesetz empfindet der Sammler Axel Haubrok im Interview mit dpa, unter anderem bei Monopol nachzulesen, unglücklich: "Ich fühle mich auch nicht eingeschränkt dadurch. Und ich finde es auch nicht richtig, wie man mit Frau Grütters umgesprungen ist, das ist keine Art. Man kann sich auseinandersetzen, aber nicht beschimpfen."
Dass Deutschland möglicherweise sehr wohl Drehscheibe für Kulturgüter aus Raubgrabungen sei, erklären mehrere Protagonisten in Tom Schimmecks sehr hörenswerten knapp einstündigen Feature "Grabräuber in Bulgarien" für den Deutschlandfunk: "'Weil Deutschland im Vergleich zum Rest Europas eine besonders liberale Gesetzgebung hat. Dort ist es leichter, illegale Kunstgüter zu 'waschen'. Die Auktionshäuser werden dafür genutzt.' Von der Polizei in München und Berlin, sagt [der bulgarische Polizist] Papalezow, bekäme er gute Tipps. Die ihm aber oft nicht weiterhelfen. Eben weil die laxen Gesetze Deutschland zur perfekten Drehscheibe machten. Bislang wurden selten Herkunftsnachweise verlangt. In München, Berlin, Frankfurt, auch in Wien, bekam heikle Ware 'legitime' Papiere. Wurde dann auf Auktionen in Zürich Genf, London, New York weiterverkauft."
Im novellierten Erbrecht werde Kunst weiterhin privilegiert, schreibt der Anwalt Gabor Mues in der FAZ vom 27. August: "Private Kunstsammler können jedoch beruhigt sein. Denn auch diese Novelle wird die besonderen steuerlichen Vorteile für die Vererbung und Schenkung von Kunst im Privatvermögen grundsätzlich nicht antasten. Weiter können sich also Steuervorteile bis hin zu einer vollständigen Befreiung von der Erbschaft- und Schenkungsteuer ergeben, wenn bestimmte Vorgaben erfüllt werden", die er im Folgenden aufführt.
Die Staatsministerin für Kultur greift die Idee eines Fraktionskollegen auf und regt die Errichtung eines Fonds zum Ankauf von Kunst an. Allerdings hat Monika Grütters zur Finanzierung recht eigenwillige Vorstellungen: "Ich könnte mir vorstellen, dass der Bund zum Beispiel mit 20 Millionen Euro einen Grundstock finanziert. Die Wirtschaft könnte dann über eine Art Beirat abgeflossene Gelder immer wieder auch von der privaten Seite einwerben", lasst sie sich von dpa zitieren, nachzulesen unter anderem bei Monopol. Sie bittet also genau die Leute um milde Gaben, denen sie gerade mit dem Kulturgutschutzgesetz vors Schienbein getreten hat.
Mit der kaum praktikablen Willkür der Wertgrenze des Kulturgutschutzgesetzes hat sich ein Workshop an der TU Berlin beschäftigt, von dem Christiane Meixner im Tagesspiegel kurz berichtet.
Das Fazit einer um die Praxis des Gesetzes zentrierten Diskussion, die von dem Münchener Auktionshaus Karl & Faber und BLAU veranstaltet wurde, zieht Marcus Woeller in DIE WELT: "Am Ende blieben Fragen stehen: Können sich die Händler und Sammler überhaupt rechtmäßig verhalten? Und kann vom Bürger gefordert werden, die Sorgfaltspflichten zu erfüllen, obgleich der Bund seiner Verpflichtung noch nicht nachgekommen ist?"
Das Testament von Cornelius Gurlitt ist gültig, hat das OLG München geurteilt. Die Sammlung könne somit an das Kunstmuseum Bern gehen, die klagende Cousine sei gescheitert, meldet Susanne Kaufmann auf SWR2. Das Urteil werde sich auch generell auf den Umgang mit dem Thema in der Schweiz auswirken: "Die Schweiz tat sich lange Zeit schwer, bei Fragen zur Raubkunst und zum Fluchtgut Stellung zu beziehen. Durch die Diskussion um die Sammlung Gurlitt hat sich das jetzt geändert".
Kia Vahland kommentiert in diesem Zusammenhang in der Süddeutschen Zeitung: "Gurlitts Geschichte mag bald abgeschlossen sein, die Aufarbeitung der deutschen und europäischen Museen und Privatsammlungen ist es nicht, im Gegenteil. Die öffentlichen und erst recht die privaten Kunstbesitzer beginnen gerade erst erwachsen zu werden, also Verantwortung zu übernehmen. Museale Provenienzforscher durchforsten die ständigen Sammlungen und gehen endlich ihrerseits auf Erben zu, Museumsdirektoren sprechen immer öfter (wenn auch nicht oft genug) mit Anspruchsstellern. Und seit der - im Übrigen widerrechtlichen - Beschlagnahme der Gurlitt-Bilder durch Staatsanwälte schwant auch Privatbesitzern, dass sie ein Problem haben, erst recht, wenn sie versuchen sollten, belastete Ware zu verkaufen."