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Skandale und Sensationen prägen die zweite Jahreshälfte, Anderes nimmt seinen erwarteten Verlauf.
Das Kulturgutschutzgesetz trägt Früchte, wie Sabine Spindler im Handelsblatt vom 30. Juni berichtet: "Nagel machte ernst. Nachdem das neue Kulturschutzgesetz im Herbst einige ausländische Einlieferer vom Verkauf ihrer Asiatika in Deutschland abgehalten hatte, war der Anstoß gegeben. Das Stuttgarter Auktionshaus gründete eine Niederlassung in Salzburg. Am 16. und 17. Juni 2017 fand die Asiatika-Auktion erstmals fünf Kilometer hinter der deutsch-österreichischen Grenze statt". Interessant dabei: "Wer die Provenienzen der gut 1 200 Lose in den Katalogen genauer anschaut, stellt fest, dass der Großteil des Angebots immer noch aus deutschen Quellen stammt."
Eine positive Halbjahresbilanz ziehen Christian Herchenröder und Susanne Schreiber auf einer Doppelseite im Handelsblatt vom 28. Juli: "Die wichtigsten Anzeichen einer Markterholung sind die Umsatzsteigerungen der führenden Auktionshäuser im ersten Halbjahr 2017. Christie's meldet in Dollar gerechnet eine Umsatzsteigerung von 14 Prozent auf 2,8 Milliarden Pfund. Sie ist auf 38 Toplose der Preisklasse über zehn Millionen Pfund und 29 Prozent neue Käufer in der Preisregion über einer Million Pfund zurückzuführen. Bei Sotheby's stieg der Auktionsumsatz um acht Prozent auf 2,5 Milliarden Dollar. Die "Private Sales" sind hier nicht eingerechnet. Den höchsten Anteil an diesem Zuwachs hat die zeitgenössische Kunst mit 766,6 Millionen Dollar. In beiden Häusern stiegen auch die Onlinegebote, die sich etwa bei Christie's auf knapp 100 Millionen Dollar summierten."
Expandieren, Schließen oder Überleben in der Selbstausbeutungsnische sind in der aktuellen Umbruchsituation die drei gängigsten Strategien von Galerien. Die Berliner Galeristin Esther Schipper hat sich mit der Übernahme der Johnen Galerie und dem Umzug in größere Räume für Ersteres entschieden. Christiane Meixner hat mit ihr für die ZEIT vom 10. August über den Markt und ihre Strategie gesprochen: "Gerade junge Galeristen hingegen würden sich durch die Globalisierung unter Druck sehen, möglichst schnell auf möglichst viele internationale Messen zu gehen, meint Schipper, das sei bedenklich. Denn: 'Das Erforschen und Entdecken von junger Kunst wird oft gar nicht von den großen Sammlern geleistet.' Messen seien eine Art 'Vitrine' für die Galerie - keine Alternative. Profunder über die Galerie und den Künstler zu sprechen sei fast 'undenkbar' auf einer Messe. In der Galerie dagegen gehe das immer."
Der Abschiedsbrief, mit dem Jean-Claude Freymond-Guth die Schließung seiner Galerie ankündigt, gehört zum Berührendsten, Ehrlichsten und Klarsichtigsten, was aus der Branche in letzter Zeit zu lesen war. Artnet hat ihn am 31. August veröffentlicht. Laura Bartlett hat ihre Londoner Galerie ebenfalls geschlossen, wie sie in einem Instagram-Post am 1. September mitteilt, umrankt von den mittlerweile üblichen Alternative Vermittlungsmodelle-Wortgirlanden.
Die Art Berlin hat die Nachfolge der gescheiterten abc Art Berlin Contemporary angetreten, nunmehr als Tochter der Art Cologne. Voll des Lobes für die neue Veranstaltung ist Christian Herchenröder im Handelsblatt vom 15. September: "Die Berliner Messerepräsentantin Maike Cruse und Daniel Hug, der als Vertreter der Art Cologne seine Erfahrung einbringt, haben das Wunder vollbracht, gleichsam aus dem Stand ein neues Format zu schaffen, dessen Stände meist breit und offen sind. Nach wie vor haben wir hier ein Heimspiel renommierter Berliner Galerien. Aber dank der Kölner Schützenhilfe ist es gelungen, rund 40 Galerien in diese Veranstaltung zu locken, die an diesem Ort lange nicht oder noch nie vertreten waren."
Die Verwertungslogik des Kunstmarkts stellt Niklas Maak in der FAZ am 16. Sepetmber in Frage: "Wann immer in Berlin eine Kunstmesse stattfindet, wie immer sie auch heißt, wird gefragt, ob sie denn nun auch mithalten könne mit den anderen Veranstaltungen dieser Art, mit der Frieze in London, der Fiac in Paris oder wenigstens der Art Cologne, und mit 'mithalten' ist gemeint: Große, international bekannte Galerien, Blue-Chip-Triple-A-Kunst, Meister- und Spitzenwerke, wer immer definiert, was das ist. Man weiß gar nicht, ob man Berlin diesen Erfolg wünschen soll, denn es ist ja die Besonderheit der Stadt wie auch ihrer Messe, dass der fehlende ökonomische Druck, der in vielerlei Hinsicht ein Problem sein mag, auch eine Freiheit erzeugt, Dinge zu machen und zu zeigen, die man anderswo in Erwartung horrender Gewinne durch die bekannten Cash-Maschinen des Betriebs lieber gar nicht erst auf die Bühne bringt."
"Von Athen lernen" - angesichts der aktuellen Entwicklungen bei der documenta schreiben sich die Witze fast von selbst: Die documenta 14 wäre vor ihrem Ende bankrott gegangen, hätten die Stadt Kassel und das Land Hessen nicht 7 Millionen Euro in Form einer Bürgschaft nachgeschossen, berichten Florian Hagemann, Horst Seidenfaden und Frank Thonicke in der HNA am 12. September : "Als die dramatische Schieflage der documenta auffiel, gab es am 28. August 2017 eine Sondersitzung des Aufsichtsrats der documenta in Wiesbaden. documenta-Leiter Adam Szymczyk wurde dazu schon gar nicht mehr eingeladen. Auf dieser Sitzung wurde ein Bankrott der documenta GmbH abgewendet. Man einigte sich, dass das Land Hessen und die Stadt Kassel als Gesellschafter der documenta gGmbH Bürgschaften in Höhe von je 3,5 Millionen Euro übernehmen." Der Skandal bestimmt auch das "Streitgespräch" zwischen Elke Buhr und Kolja Reichert in der Kulturzeit von 3sat vom 12. September.
Die documenta gleich komplett abzuschaffen, fordert Marcus Woeller, ebenfalls in DIE WELT vom 17. September: "Und so ist vielleicht das beste Ende doch ein Ende mit Schrecken. Die Documenta hat sich selbst zerlegt. Mit einem finanziellen Fiasko, mit verletzten Eitelkeiten auf allen Seiten, mit Schäden an der Kunst, am Kurator, am Management. Tabula rasa. Immer noch die beste Voraussetzung, um einmal ganz neu anzufangen."
Die Vor- und Nachteile alternativer Vermarktungsmodelle wie Condo oder Okey Dokey untersucht Tim Scheider ausführlich für Artnet am 29. September. Er resümiert, diese könnten die gut aufgestellten Kunstmessen zwar nicht ersetzen, wohl aber die schlechten.
Der Kunstmarktplatz London nach dem Brexit, die Unterschiede zwischen London und New York sowie die Gesamtsituation sind Themen des Interviews, das Swantje Karich für DIE WELT vom 1. Oktober mit den Galeristinnen Monika Sprüth und Philomene Magers geführt hat. Letzte erklärt zum Galeriensterben: "Dieses Problem ist ein globales. Es betrifft nicht alleine Berlin, wobei man in Berlin noch am ehesten überlebt. In New York ähneln die Schließungen einem Erdrutsch. Es ist einfach zu teuer geworden. Heute wird kaum noch Kunst gekauft, ohne dass auch ans Investment gedacht wird. Dafür eignen sich aber die jüngeren Positionen nicht - außer einer Handvoll. Um dem Kunstmarkt in Deutschland mehr Stabilität zu geben, müssen wir und unsere Kollegen uns neben dem internationalen Publikum auch wieder stärker auf die lokalen Sammler konzentrieren."
Das Urteil von Stephanie Dieckvoss im Handelsblatt vom 6. Oktober [über die Frieze] ist weniger milde: "Der Graben zwischen dem Angebot der Galerien, die riskieren, auch unbequeme Positionen vorzustellen, weil sie Fragen stellen, auf die es keine einfachen Antworten gibt, und dem Massenangebot hochpreisiger Dekorationsware erscheint in diesem Jahr besonders groß. Zum Teil sieht es auf der Doppelmesse aus wie auf den Vorbesichtigungen der Auktionen, die Ende der Woche in London noch anstehen."
Einen analytischen Zugang zu den Präsentationen wählt Catrin Lorch für die Süddeutsche Zeitung vom 7. Oktober: "Das alles sind spektakuläre Projekte, bei denen es längst nicht mehr um die Vermittlung von Kunst geht, ja nicht einmal ums Verkaufen, sondern vor allem um das Branding der Galerie. Während sich früher die Bedeutung einer Galerie aus der Künstlerliste ablesen ließ, gibt es jetzt schon Namen, die öffentlich einfach nur noch als "Gagosian-Künstler" verhandelt werden. Das erinnert an andere Märkte - an den Bedeutungswettstreit der Mode-Industrie, die Mischkalkulationen der Labels."
Was für ein Skandal! Beatrix Ruf, eine der bekanntesten Kuratorinnen und Museumsleiterinnen, soll unerlaubterweise Weise in die eigene Tasche gewirtschaftet haben und ist als Direktorin des Stedelijk Museums in Amsterdam zurückgetreten. Praktisch alle einschlägigen Medien greifen die Geschichte auf. Susanne Schreiber erklärt im Handelsblatt am 19. Oktober das System Ruf: "Ein Teil des Einflusses von Beatrix Ruf resultiert aus der seit 1995 andauernden Beratertätigkeit für den Schweizer Ringier Verlag und den Aufbau von dessen Sammlung. Viele von Rufs Künstler-Publikationen erschienen bei Ringier. Bevor Ruf 2014 das Stedelijk übernahm, war sie sechszehn Jahre Direktorin der Kunsthalle Zürich. Noch nicht arrivierte Künstlerinnen und Künstler lassen sich dann besonders gut durchsetzen, wenn ihr Promoter, wie bei Beatrix Ruf der Fall, zusätzlich noch in mehr als 20 Gremien mitwirkt. Da könnte man über Ämterhäufung nachdenken."
Das Imperium des Yves Bouvier bröckelt. Der Freeport-Betreiber und Kunsthändler habe das Familienunternehmen Natural Le Coultre an die französische Firma André Chenue verkauft, meldet Anny Shaw im Art Newspaper am 26. Oktober . Sie vermutet, der Rechtsstreit mit Rybolovlev habe Bouviers Geschäfften arg geschadet.
Jetzt hat auch der Kunstmarkt seinen Harvey Weinstein. Knight Landesman, Mitherausgeber der Zeitschrift Artforum soll über viele Jahre Frauen aus seinem beruflichen Umfeld sexuell missbraucht und belästigt haben. Nach einem ersten Artikel von Rachel Corbett bei Artnet am 24. Oktober trat der Beschuldigte am folgenden Tag zurück.
Nicole Berry übernehme die Leitung der Armory Show, nachdem deren Direktor Ben Genocchio wegen sexuellen Fehlverhaltens seinen Posten verliere, schreibt Nate Freeman auf Artnews am 8. November. Die Vorwürfe im Detail hat Robin Pogrebin für die New York Times desselben Tages recherchiert.
Die Messe Schweiz hat es schon wieder getan: Diesmal hat die Art Basel-Mutter mit der Masterpiece eine Kunst- und Antiquitätenmesse in London gekauft. Eine längere Meldung dazu gibt es am 1. Dezember von Anna Brady im Art Newspaper, eine kurze von mir am selben Tag auf Deutsch im Artmagazine, und am kommenden Freitag ebenfalls von mir ein analytischeres Stück im Handelsblatt.
Große und kleine Galerien müssten zusammenarbeiten, damit das Galeriensterben aufhöre, und es müsste sich endlich durchsetzen, dass Galerien mit ihren Künstlern Verträge schließen, um zu klären, was mit ihrer Investition geschieht, wenn erfolgreiche Künstler zu größeren Galerien wechseln, erklärt Clare McAndrew in ihrer Analyse der "Superstar Economy" des Kunstmarkts für Artsy am 27. November: "Das Problem ist daher nicht die Schließung einiger Galerien im Kunstmarkt. Das wirkliche Problem ist, dass diese kleinen und mittleren Galerien einen kritischen Teil der Marktinfrastruktur bilden, den zu verlieren sich niemand leisten kann."
Leonardos Salvator Mundi geht wohl an den Louvre Abu Dhabi, nachdem es erst hieß, ein saudischer Prinz aus der zweiten Reihe hätte das Bild gekauft oder bezahle es zumindest in sechs Monatsraten. Die verwirrenden Volten der Geschichte versucht Hrag Vartarian bei Hyperallergic am 8. Dezember in eine Reihe zu bringen.
Aus Anlass der Affäre um Beatrix Ruf untersuchen Julia Halperin und Javier Pes am 4. Dezember für Artnet andere Fälle möglicher Interessenkonflikte von Kuratoren.
In diesem Zusammenhang fragt Andreas Tobler am selben Tag in der Basler Zeitung, ob Michael Ringier, für den die Kuratorin 20 Jahre lang beratend tätig war, durch Wertesteigerung seiner Leihgaben nicht finanziell von Rufs Doppeltätigkeit profitiert haben könnte und ob das nicht eine Lücke im System sei. Es ließe sich auch argumentieren, dass diese Lücke das System erst ermöglicht und bewusst in Kauf genommen wird.
Für Frieze habe ich am 7, Dezember versucht, die Strukturen aufzuzeigen, die zu solchen Interessenkonflikten führen.
Über die Einstellung des Online-Angebots von Art frohlockt Monopol am 5. Dezember. Regelmäßig frei empfangbare Nachrichten in deutscher Sprache aus der Kunstszene, die nicht von dpa stammen, werden immer rarer. Bleibt immer noch Kobels Kunstwoche, die auch im Jahr 2018 wie gewohnt jeden Montagmorgen zuverlässig die Kunstmarktberichterstattung der vergangenen Woche zusammenfasst.