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Kobels Kunstwoche

Tadas ForSureLetters, Light in the dark; frei via creativesforukraine.com
Tadas ForSureLetters, Light in the dark; frei via creativesforukraine.com
Stefan Kobel

Stefan Kobel

Kobels Kunstwoche 2 2023

Was sonst noch während der zweiten Jahreshälfte im Kunstmarkt passiert ist, beleuchtet der dritte und letzte Teil unseres Rückblicks.

Hauser & Wirth soll den Londoner Groucho Club inklusive seiner Kunstsammlung einer Investmentgesellschaft für knapp 40 Millionen Pfund abgekauft haben, meldet Oliver Barnes in der Financial Times.

Das Ringen um die Deutungshoheit über NFTs zwischen Idealisten und Spekulanten schildert Ursula Scheer in der FAZ vom 13. August: „[...] als seien die nicht kopierbaren Token die wahr gewordene messianische Verheißung fürs Digitalzeitalter, als brächten sie ad hoc Heil in Form eines basisdemokratisch-dezentralen Kunsthandels ohne Intermediäre mit digitalen Originalen, deren Prägung virtuelles nichts in Kryptogold verwandelt. Andere verteufelten NFTs regelrecht als von Monsterrechenleistungen abhängige Klimasünde, bei der Kunst, des Kunstseins entkleidet, von mehrheitlich männlichen Nerds zum Spekulationsobjekt degradiert wird und dem von Gier getriebenen Kommerz huldigt. Statt Himmel oder Hölle tat sich eher der Wilde Westen auf: Wie im Goldrausch versuchten Kreative aller Sparten und Bekanntheitsgrade ihr Glück auf dem NFT-Markt, ebenso Galerien, Auktionshäuser, Museen, Sportligen oder Crowdfunding-Initiativen, gefolgt von Sammlern, Spendern, Investoren – und Betrügern.“

Für das Handelsblatt habe ich die verschiedene Kunstmarkt-Reports unter anderem auf die Themen NFT und Fractional Ownership abgeklopft.

Dunkel droht die Depression, die Sebastian C. Strenger für WELTKUNST (kostenlose Anmeldung) über den Kunstmarkt hereinbrechen sieht: „Der Mittelbau der Galerien hingegen muss sich schon jetzt wegen der Kostenspiralen in den Bereichen Transport und Heizung Sorgen machen. Bei den kleinen Galerien wird der bereits vor der Corona-Pandemie einsetzende Trend zur Markträumung zwangsläufig an Fahrt gewinnen. Und die Künstler werden weiterhin das schwächste Glied in der Kette und den Unwägbarkeiten des Handels weitgehend schutzlos ausgesetzt sein. Kurzum, die Einschläge kommen näher.“

Die Nutznießer ungleich verteilten Reichtums haben es auch nicht leicht. Von den 73 Billionen US-Dollar Vermögen, die im Verlauf des nächsten Vierteljahrhunderts vererbt würden, stamme rund die Hälfte von nur 1,5% der US-Haushalte, die Shanti Esclanate-De Mattei Ende August bei Artnews die collecting class nennt: „[Morgan Stanley-Vermögensberaterin Sarah] McDaniel schätzt, dass bei ihren sehr vermögenden Kunden, deren Vermögen sich auf 30 Millionen Dollar oder mehr beläuft, 5 bis 10 Prozent ihrer Bilanz auf Kunst und Collectibles entfallen, was bedeutet, dass in den kommenden Jahrzehnten Kunst im Wert von Billionen den Besitzer wechseln dürfte. Zumindest dachten das Nachlassplaner wie McDaniel. Doch wenn Erben die Sammlungen ihrer Eltern nicht mehr haben wollen, bestehen die beiden besten Optionen für Sammler darin, die Werke entweder zu stiften und im Gegenzug eine beträchtliche Steuererleichterung zu erhalten oder die Kunstwerke noch zu Lebzeiten des Sammlers zu verkaufen, so McDaniel. Dabei geht es nicht nur darum, die Werke am Ende des Lebens zu verkaufen, sondern einfach darum, häufiger im Laufe des Lebens Werke zu verkaufen."

Welche der Städte Seoul, Tokio, Taipeh oder Hongkong das Kunstzentrum Ostasien sein werde, fragt sich Georgina Adam Anfang September im Art Newspaper: „Wer wird also gewinnen? Im Moment ist es eindeutig Seoul, aber das liegt auch an den Unwägbarkeiten in anderen Ländern. Der Chinaspezialist Philip Dodd sagt: 'Bis zum Nationalkongress der KPCh im Oktober gibt es immer Spannungen. Danach mag die Lage einfacher sein, und westliche Künstler sind immer noch begierig darauf, in China auszustellen. Aber da die Quarantänebestimmungen unvorhersehbar kommen und gehen, gibt es in China Komplikationen, die vielleicht nicht so bald verschwinden. Oder vielleicht doch. Die Ungewissheit ist ein großes Problem.' Berichte über Fische, Krabben und sogar ein Nilpferd, das in der Volksrepublik China auf Covid untersucht wurde, haben das Vertrauen kaum gestärkt. Und was ist dann mit Taipeh? Letztlich steht es vor denselben Problemen wie Hongkong, da Festland-China seine Rhetorik gegenüber der Insel allmählich verschärft.“

Nach einem anonymen Offenen Brief vor knapp drei Jahren sieht sich der Berliner Galerist Johann erneut mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs konfrontiert, die Luisa Hommerich, Anne Kunze und Carolin Würfel in der ZEIT (Paywall) publik machen: „Auch die ZEIT kennt die Vorwürfe seit rund drei Jahren, hat inzwischen mit insgesamt zehn mutmaßlich betroffenen Frauen sowie mehreren Zeugen gesprochen, die zwar über ihre angeblichen Erlebnisse mit Johann König zu reden bereit waren, aber zunächst nicht wollten, dass darüber detailliert berichtet wird. Das hat sich nun geändert: Einige der Frauen haben sich entschieden, den Weg in die Öffentlichkeit zu gehen. Ihre Schilderungen sind heute detaillierter, manche sind jetzt bereit, ihren echten Namen zu nennen und eidesstattliche Versicherungen zu unterschreiben.“ Allerdings räumen die Autorinnen auch ein: „Wenn das, was die Frauen erzählen, stimmt, hat König keine Kapitalverbrechen begangen. Vielmehr wirkt der Galerist in den Schilderungen der Frauen wie ein Mann, der zuweilen Grenzen überschreitet, übergriffig ist und der seine Macht ausspielt und berufliche und private sexuelle Interessen miteinander vermengt.“ Eine von ihnen ist schon vor fünf Jahren vom eigenen Medium wegen fragwürdiger journalistischer Praktiken in einer ähnlichen Sache angegangen (ebenfalls Paywall) worden. Auf alle Fälle wird es spannend zu sehen, ob und wie es der Zeit gelingt, ihre Vorwürfe gerichtsfest zu machen. Die FAZ hat dazu eine Stellungnahme von König eingeholt: „Auf Anfrage der F.A.Z. gab König folgende Stellungnahme ab: „Die Anschuldigungen sind haltlos und entsprechen nicht der Wahrheit. Ich werde in dieser Sache bereits anwaltlich vertreten und es werden alle rechtlichen Schritte geprüft, um gegen die Verbreitung dieser falschen Tatsachen vorzugehen.“

Eine Lanze fürs Art Flipping bricht Annika von Taube bei Monopol: „Der kurzfristige Umschlag von Werken, im traditionellen Kunstmarkt abfällig als Art Flipping bezeichnet, ist in der Kryptoszene akzeptierte Praxis. Was zählt ist was man besitzt und nicht, wie lange. Und auch wenn viele Player dieser Szene spekulationsgetrieben agieren, was ist schlecht daran, wenn das neben den Preisen auch die inhaltliche Zirkulation steigert? Es wird doch eh ständig betont, dass der Wert eines Kunstwerks nicht vom Markt bestimmt zu werden habe, sondern von seiner inhaltlichen Güte und Rezeption.“ Der NFT-Markt, auf den sie sich beruft, hat sich allerdings im letzten halben Jahr zum Beweis der Greater fool theory entwickelt. Das möchte man für Künstlerkarrieren dann vielleicht doch nicht.

Die Konjunkturdelle der Tech-Giganten könnte die Kunstwelt in Bedrängnis bringen, glaubt Ji-Hun Kim im Oktober bei Monopol: „Angenommen, die goldene Ära des Silicon Valley ist wirklich vorbei, so bedeutet das zwar nicht, dass all die Unternehmen von heute auf morgen ihre Rollläden zumachen. Allerdings sollte man sich genauer angucken, was das für Implikationen für die Kunst- und Kulturwelt haben könnte, wenn das zuvor bedingungslose Vertrauen, dass den Giganten entgegengebracht wurde – weil ja unendlich viel Geld da war – neu geprüft werden sollte. Den Einfluss, den beispielsweise Instagram auf die Kunstwelt genommen hat, muss man hier gar nicht detailliert ausführen. Nicht nur, dass Ausstellungen heute so kuratiert werden, dass sie fast ausschließlich Insta- und TikTok-tauglich sind, auch fußen die allermeisten Karrieren in Kunst, Musik und Grafikdesign darauf, wie viele Follower junge Kreative haben. Die Kulturwelt hat sich völlig den quantisierbaren Verwertungsmechanismen und Performance-Indizes der digitalen Plattformen unterworfen.“

Die Pixel-Party scheint vorbei. Seit Anfang des Jahres sei der NFT-Markt um 97 Prozent eingebrochen, meldet Sidharta Shukla bei Bloomberg. Im September seien nur noch NFTs im Wert 466 Millionen US-Dollar gehandelt worden, nach 17 Milliarden im Januar.

Die komplexe Beziehung zwischen Kunst, Geld und NFTs beleuchtet Shanti Escalante-Di Mattei ausführlich bei Artnews: „All dies, und doch hat keiner der NFT-Künstler, die aus 2021 erfolgreich mit neuen Reichtümern und erweiterten Möglichkeiten hervorgegangen sind, eine Galerievertretung gefunden. […] Die Skepsis bleibt, auf beiden Seiten. Wenn der Krypto-Winter die Zeit ist, um Brücken zwischen der Kunst- und der NFT-Welt zu bauen, dann haben die Leute viel Arbeit vor sich.“

Wer Gegenstand einer Folge von „Last Week Tonight“ mit John Oliver ist, muss sich warm anziehen. Im Oktober war der Kunstmarkt dran, genauer der Handel mit Antiken. Die auftretenden Händler und Museumsleute machen dabei gar keine gute Figur. Eine gute halbe Stunde Haarsträubendes humorvoll aufbereitet.

Dank der Finanzspritze eines Vermögensverwalters sei Carpenter's Workshop zu ersten Mega-Galerie für Design aufgestiegen, stellt Sophia Herring im Art Newspaper fest: „Mit Außenstellen in Paris (einschließlich einer riesigen Forschungseinrichtung in der Nähe des Flughafens Roissy), New York, Los Angeles und, im nächsten Frühjahr, einer ausgedehnten Räumlichkeit in der Ladbroke Hall in London hat die Galerie alle ihre Konkurrenten im Kunst- und Designsektor überholt und ist praktisch zu einer Mega-Galerie geworden. Ein Investment der französischen Private-Equity-Firma Montefiore im Jahr 2020 - angeblich in Höhe von mehreren Millionen Dollar - hat nicht nur die Expansion erleichtert, sondern auch einen bedeutenden Vertrauensbeweis durch größeren Geldgeber dargestellt.“

Statt verkauft zu werden, erhalte die Gagosian Gallery einen Beirat, hat Kelly Crow für das Wall Street Journal erfahren: „Der 77-jährige Gründer der Galerie, Larry Gagosian, sagte am Mittwoch, dass er sich nicht so bald zur Ruhe setzen werde, aber er wolle alles tun, um seinem Unternehmen langfristig eine Chance zu geben - und die Gründung eines Beirats könne dabei helfen. Das 20-köpfige Gremium, das er Anfang dieses Jahres gegründet hat, wird ihn bei strategischen und finanziellen Entscheidungen beraten. Er sagte, er behalte das letzte Wort. Gagosian räumte zum ersten Mal ein, dass der Vorstand Teil seiner umfassenderen Überlegungen über die Galerie ist, obwohl er sich weigerte, die Nachfolge zu benennen. 'Ich arbeite immer noch hart und trete nicht zurück, aber ich möchte, dass meine Galerie auf unbestimmte Zeit weitergeführt wird', sagte er, 'und dieser Beirat gibt der Galerie eine größere Reichweite und eine andere Dimension, professionell.“

Wohl selten ist eine deutsche Zeitung diesseits der Springer-Presse so von einer anderen Zeitung wegen Verstößen gegen journalistische Standards zerlegt worden wie jetzt die ZEIT von Sören Kittel und der Berliner Zeitung wegen des mittlerweile berühmt-berüchtigten Artikels zu angeblichen sexuellen Übergriffen des Berliner Galeristen Johann König: „Im Fall von König zeigt sich, dass den Leserinnen und Lesern des Zeit-Textes ein verkürztes Bild präsentiert wurde. Recherchen der Berliner Zeitung lassen den Schluss zu, dass dieser Bericht so niemals hätte veröffentlicht werden dürfen. Es gibt Compliance-Konflikte bei einer der Autorinnen und einem Herausgeber der Zeit. Der Text wirkt einseitig recherchiert – und obendrein existiert ein Drehbuch-Exposé für eine Art Netflix-Serie, in dem der König-Fall ebenfalls behandelt wird und das sich wie ein Handbuch für Aktivismus liest, geschrieben von einer Autorin jenes Zeit-Textes. Es ist einer anonymen Quelle zufolge vor der Veröffentlichung des Zeit-Textes entstanden und hat die anschließende Recherche quasi präjudiziert, also den Schuldspruch vorweggenommen.“ Die Details sind wirklich haarsträubend.

Die guten Vorsätze im Hinblick auf die Gewinnbeteiligung von Künstlern hat im NFT-Markt nicht lange gehalten. Die vorteilhaften Folgerechtregelungen der verschiedenen Marktplätze würden reihenweise einkassiert, schreibt Torey Akers im Art Newspaper: „Axios berichtete, dass vier verschiedene Krypto-Marktplätze keine Lizenzgebühren mehr an Künstler zahlen werden. Dies ist ein besorgniserregender Trend, der sich auf diejenigen auswirkt, die Blockchain als erste in das kulturelle Bewusstsein eingeführt haben. Insbesondere Magic Eden und LooksRare sind auf Modelle mit optionalen Lizenzgebühren umgestiegen, die es den Käufern ermöglichen, zu entscheiden, ob sie den Schöpfern die üblichen 3 % bis 10 % des Wiederverkaufspreises für NFTs zahlen wollen oder nicht. Die Motivation liegt auf der Hand: Händler wollen größere Gewinnspannen beim Weiterverkauf von NFTs erzielen, und die Plattformen wollen Händler, die in großen Mengen kaufen, an sich binden und belohnen - eine Praxis, die die Gebühren stärker ansteigen lässt als Einzelkäufe. Diese Entwicklung hat Anleger zu Spekulationen veranlasst, ob die NFT-Blase endlich zu platzen droht.“ Das kommt jetzt wirklich überraschend. Nicht?

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Dr. Stephan Zilkens | Zilkens Kunstversicherung