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Kaum jemand wird ernsthaft behaupten, dass Geld automatisch Intelligenz, Geschmack und Bildung bei seinem Besitzer hervorruft. Daher verwundert es immer wieder, mit welcher Sensationsgier sich alle Welt auf Rekordpreise für Objekte stürzt, die dem klassischen (auch dem klassisch zeitgenössischen) Verständnis von Kunst Hohn sprechen. Dass es denen, die hohe acht- oder sogar neunstellige Millionensummen nicht um Kunst gehen könnte und diese Preise also auch nicht viel mit verhandelten Gegenständen zu tun haben, gerät darüber allzu oft in Vergessenheit.
Die letzte Woche in New York erzielten 110 Millionen US-Dollar für Monets Heuschober bringt Philipp Meier in der NZZ in Stellung gegen die 91 Millionen für Koons' Karnickel und kommt dabei zu dem Schluss, dass der Klassiker geradezu ein Schnäppchen wäre: "So erstaunt es also nicht, dass das nun aus einer Privatsammlung stammende Beispiel in rot leuchtendem Gegenlicht seit dem Jahr 1986, als es für 2,58 Millionen Dollar versteigert wurde, eine gewaltige Wertsteigerung erfahren hat. Wer wollte bei einer solchen Rarität von überhitztem Kunstmarkt oder absurden Preisen sprechen? Argumente wie diese treffen allein auf den Markt für Gegenwartskunst zu. Dort ist der Nachschub an Ware endlos und die Kunst selber noch nicht abgesichert durch das Urteil der Kunstgeschichte. Dort finden die Preisexzesse statt und eine irrationale Jagd nach Trophäen und Prestige. Ein Monet aber ist lediglich eine sichere Geldanlage - sicherer als Facebook-Aktien."
Während Anne Reimers in der FAZ vom 18. Mai lediglich die Ergebnisse der New Yorker Auktionswoche referiert, resümiert Marcus Woeller die Hochpreissause in DIE WELT mit Blick aufs große Ganze: "Nach dem Saisonfinale bei Sotheby's werden die beiden großen Auktionshäuser wohl wieder rund 1,5 Milliarden Dollar mit Kunstwerken der vergangenen 150 Jahre bewegt haben. Über die Lage am Kunstmarkt an sich, sagt das wenig aus. Aber viel über den Geschmack der überschaubaren Klientel, die acht- oder neunstellige Beträge für Kunst ausgeben kann. Ob Monet oder Koons, ob Modiglianis beliebte Liegeakten, ob Picassos Frauengestalten oder Rothkos sublime Farbfelder, selbst überrestaurierte Pseudo-Leonardos - Trophäen auf dem obersten Preisniveau müssen offenbar auf den ersten Blick einem (männlichen) Künstler zuzuordnen und gefällig bis zur Banalität sein."
Koons' Kunst funktioniere nach demselben Prinzip wie die Präsidentschaft von Donald Trump, argumentiert Sebastian Smee in der Washington Post: "Koons' Kunst schwebt, ähnlich wie der übrige High End-Kunstmarkt, über den Fakten, absichtlich Verwirrung stiftend, um eine eigene, neue Realität zu stiften. [...] Das Komische an der Realität ist allerdings, dass sie dadurch nicht wirklich weggeht. Sie ist derartig stur (und eine der großartigen Aufgaben von Kunst ist es, uns genau daran zu erinnern). Und an irgendeinem Punkt - Käufer aufgepasst! - platzt die Blase immer."
Wie tief die Unsicherheit angesichts des Zusammenbruchs des Kanons in einer geldgetriebenen Kunstwelt ist, zeigt Barbara Kutschers Analyse im Handelsblatt. Sie versucht, den Erfolg des Post Koons-Populisten KAWS zu erklären, der ebenfalls im Lauf der Auktionswoche mit mehreren Losen reüssierte - nach den im Westen immer noch gerne belächelten asiatischen Kunden begeistern die simplen Comic-Figuren jetzt auch Käufer im Westen : "KAWS, eigentlich Brian Donnelly (45), aus Brooklyn, zementierte in dieser Woche seinen west-östlichen Star-Status. Noch rümpft das Establishment gerne die Nase über seine zwischen Street Art und Hochkunst balancierenden Gemälde und Skulpturen. Aber das könnte sich nach der großen Ausstellung ändern, die das Brooklyn Museum soeben fürs Jahr 2021 ankündigte. KAWS kann auf einen sehr engagierten, überwiegend fernöstlichen Fanclub setzen. 'Aber inzwischen hat er universellen Appeal, gefällt auch traditionellen amerikanischen Sammlern', weiß Sotheby's Spezialist David Galperin." Der Zusammenbruch der Urteilsfähigkeit manifestiert sich in der en passant geäußerten Tatsachenbehauptung, KAWS bewegte sich innerhalb einer Spanne zwischen Street Art und Hochkunst. Den Boden für diese Behauptung haben Personen wie Jeff Koons, Takashi Murakami und Damien Hirst in jahrzehntelangen Zermürbungsstrategien bereitet, assistiert von geschäftstüchtigen Galeristen und Auktionshäusern. Vielleicht ist der Aufstieg dieser massentauglichen Kunst des kleinsten gemeinsamen Nenners als Menetekel zu sehen für eine tiefgreifende Veränderung der Stellung von Kunst in der Gesellschaft. Wenn unterkomplexe Trophäenkunst von neureichen Staaten, Sammlern und Großgalerien in die Institutionen gehievt wird, die sich längst daran gewöhnt haben, an Besucherzahlen gemessen zu werden und als Wirtschaftsfaktor zu gelten, läuft die diskursive Kunstszene Gefahr, endgültig in die Nische des akademischen Elfenbeinturms abgeschoben zu werden.
Im Vorfeld der Auktion hat Bloomberg eine so unterhaltsame wie informative interaktive Grafik mit den Umsätzen und Topsellern der letzten knapp zwei Jahrzehnte hergestellt.
Einen großen Bogen von New York zurück nach Venedig schlägt Almuth Spiegler in ihrem Kommentar für die Wiener Presse vom 17. Mai: "Schreibt man über große silberne Glitzerhasen wie den von Jeff Koons, der es immer wieder schafft, Oligarchen mit seinen 'Balloon'-Figuren tatsächlich heiße Luft zu verkaufen (Rekordauktionsergebnis für einen lebenden Künstler mit 81 Mio. Euro, Mittwoch in New York). Oder schreibt man über Dinge, von denen man zumindest glaubt, dass sie 'wirklich' die Welt bewegen, nur um am Ende draufzukommen, dass doch alles mit allem zu tun hat. Also etwa über den renommierten Schweizer Künstler Christoph Büchel, der reale Situationen zu Kunst erklärt und sie dadurch wieder für Diskussionen, für Empathie öffnet." Die Geschmacklosigkeit bestände nicht in der Installation seines Totenschiffs in Venedig, sondern in den Reaktionen darauf: "Absurde Fragen werden plötzlich gestellt: Ist das überhaupt Kunst? (Warum nicht?) Darf man hier jetzt Prosecco trinken? (Warum nicht?) Selfies machen? (Warum nicht?) Verletzt das nicht die Würde der Opfer? Sicher. Aber es ist ihnen schon egal. Vor allem aber verletzt es die Würde von uns Lebenden. Gut so." Vielleicht hatte die Autorin dabei Eva & Adele vor Augen, die Büchels Arbeit als pittoresken Hintergrund für ihre Selbstinszenierung nutzen.
In Lissabon war Arco Lisboa, und Uta M. Reindl war für den Tagesspiegel vom 18. Mai dort: "Auch hält Maribel López die Bezeichnung 'Boutiquemesse' für überholt, weil sie sich diesmal international präsentiere - und gerade das Unperfekte und Raue ein Markenzeichen der portugiesischen Messe sei. Wohl wahr, denn die Location der Arcolisboa, die Real Fábrica da Cordoaria da Junqueira im Hafenviertel am Tejo, ist mehr romantisch als schick. In dem langen Gebäude aus dem späten 18. Jahrhundert sind die Galerien doppelreihig und in fast gleicher Standgröße hierarchielos nebeneinander arrangiert."
Wie Daniel Hug sich die Zukunft der in Cologne Fine Art & Design umbenannten Cologne Fine Art vorstellt, habe ich für das Handelsblatt aufgezeichnet.
Eine Revolution plant Joanna Kamm, ehemalige Berliner Galeristin und neue Direktorin der Liste Basel, nicht, wie sie im Interview mit Gerhard Mack in der NZZ erklärt; sie scheint eher fürds Feintuníng zu sein: "Sicherlich funktionieren einzelne Dinge gut übers Internet; aber es kann Messen nicht ersetzen. Bei der Liste ist es für Galeristen etwa wichtig, ihre jungen Kollegen kennenzulernen und ein Netzwerk aufzubauen; sei es um Rat zu holen oder um sich als Teil einer Community zu fühlen. Und Sammler wollen den Galeristen kennenlernen: Was ist das für ein Mensch, wie redet er über eine Arbeit, wenn ich vor ihm stehe." Nebenbei vermeldet der Autor mit der Schließung der Züricher Galerie Bolte Lang den Abgang eines Liste-Dauergastes.
Vom Erbschaftsstreit um die Verwertungsrechte für Robert Indiana berichtet Nate Freeman bei Artsy.
Der Galeristin Monika Sprüth flicht Swantje Karich in DIE WELT vom 18. Mai zum 70. Geburtstag einen verdienten Kranz: "Sprüth Magers ist ein Unternehmen geworden und hat es geschafft, als eines der ganz wenigen im hochpreisigen Markt mitzuhalten, dem exponentiellen Wachstum der Branche etwas entgegenzusetzen - und trotzdem sich treu zu bleiben." Auch Brita Sachs lobt Sprüth in der FAZ: "Denn Künstler, die unter ihre Fittiche dürfen, erfahren vollen Einsatz. Unaufgeregt, äußerst effizient und mit Herz und Hingabe steht sie hinter dem, was sie überzeugt. Das waren zu Beginn vor allem Frauen: 'Es gab viele interessante Künstlerinnen, aber es gab keinen Markt für sie' - so beschreibt die Galeristin einen Zustand, der nach Korrektur verlangte; Rosemarie Trockel, Cindy Sherman, Jenny Holzer, Louise Lawler, auch Barbara Kruger verhalf sie maßgeblich zu gebührender Beachtung in der Öffentlichkeit und am Markt. Bis heute gehören diese 'Big Five' zu ihrer Kerntruppe."