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Es war wieder Art Basel in Basel, die in diesem Jahr auf Besucherseite sehr europäisch geprägt war. Es gab noch freie Hotelzimmer in der Stadt zu dreistelligen Preisen, das Gedränge in den Messehallen schien zur Eröffnung weniger stark als sonst und die Stimmung unter den Händlern eher verhalten. Den von der neuen Direktorin Maike Cruse erstmals verantworteten Auftritt der Art Basel im öffentlichen Raum nennt Susanne Schreiber im Handelsblatt (möglicherweise Paywall) einen „Aufschlag von Relevanz“, das Angebot der Galerien entspreche hingegen der Konjunktur: „Die Unlimited lässt sich auch als Kommentar zur Gegenwart lesen. In diesem Jahr scheinen der fortgesetzte Krisenstatus und die nicht endenden Kriege die Sehnsucht nach Kunst befeuert zu haben, die beruhigt und erfreut. […] Es sind politisch angespannte Zeiten, in denen die aus aller Welt nach Basel angereisten Sammler die Kaufkraft zwar hätten, aber kaum die Lust, groß Geld auszugeben. Sichtbarer Trend: Fast alle Aussteller gehen auf Nummer sicher, kein Bling -Bling; neue Namen jüngerer Künstlerinnen und Künstler, die noch nicht Millionen kosten, dominieren.“
Der sonst so kunstmarktkritische Deutschlandfunk (Audio) übt sich ausgerechnet bei der Art Basel in Affirmation, und Christian Zürcher übt sich im Rahmen seiner Kunstmarkterklärung anhand der Art Basel in der BaZ (Paywall) in Statistikverbiegung: „Der Kunstmarkt wächst und wächst. Der weltweite Umsatz steig von 39,5 Milliarden Franken im Jahr 2009 auf 65 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr. Die Finanzkrise und Corona waren Dämpfer, doch sie sind längst überwunden.“ Und der Kunstmarkt ist wieder da, wo er 2007 schon war, allerdings in absoluten Zahlen und nicht inflationsbereinigt. Hauptsache, der willkürlich herausgegriffene Ausschnitt passt in meine Erzählung von der Kunstwelt als Wille und Vorstellung.
Auf einer anderen Eindruck von der Veranstaltung hat Ursula Scheer für die FAZ (Paywall) : "Energiegeladen waren die ViP-Tage vor der allgemeinen Öffnung der Messe: Dichtes Gedränge herrschte in den Hallen, Kauffreude an den Ständen. Der New Yorker Galerist Sean Kelly spricht vom 'besten Messestart', den er je in Basel hatte. Zwar sei der Markt 'anspruchsvoll', doch bei hoher Qualität zu einem 'angemessenen' Preis griffen die Sammler zu. Auch Iwan Wirth wehrt sich gegen den „Untergangsporno“ und spricht von einem handel im „humaneren Tempo“, bei dem Käufer sich das 'Beste vom Besten' sicherten. […] Weitere Großtrends sind beim Messerundgang kaum auszumachen. es ergibt sich ein nuanciertes, nicht sonderlich aufregendes Gesamtbild. Informel ist nicht totzukriegen, figurative Malerei aber auch nicht.“ Iwan Wirths Durchhalteparolen waren so in einer vor der Messe versandten Pressemitteilung zu lesen, und die letzte Galerie, die in nennenswerter Breite deutsches Informel verkauft, wurde seit dem Tod ihres Gründers Georg Nothelfer nicht mehr zugelassen.
Mit dem Parcours habe die Art Basel diesmal wirklich etwas gewagt, stellt Marcus Woeller in der WeLT fest: „Selten ist das so gut gelungen wie in diesem Jahr. Die Kuratorin Stefanie Henssler, die in New York das renommierte Swiss Institute leitet, hat die 22 Werke in und um die Clarastraße positioniert. Sie führt von der Mittleren Brücke, über die man den Rhein von der Großbaseler Altstadt überquert, bis zum Messeplatz im rechtsrheinischen Kleinbasel. Die gut 500 schnurgeraden Meter sind äußerst lebendig, aber auch ein wenig heruntergekommen, gesäumt von Zweckbauten, leerstehenden Geschäften und der gotischen St.-Clara-Pfarrei, man sieht Drogenkonsum, Obdachlosigkeit und Prostitution – und das für den Messebesuch entsprechend 'artsy' aufgemachte Fachpublikum eilt hindurch. Doch dank Hensslers Eroberung auch abseitiger Orte ist die Clarastraße nun Basels avantgardistischster Ausstellungsraum.“
Reformbemühungen bescheinigt Jens Müller der Art Basel im Tagesspiegel: „Verjüngung und Diversifizierung, das scheint notwendig, nachdem der jüngste 'Art Basel and UBS Global Art Market Report' eine vierprozentige Schrumpfung des Kunstmarktes konstatiert hat. Die angepeilte jüngere Klientel soll umworben werden mit einem neuen, von Sarah Andelman, der Gründerin des legendären Concept Stores „Colette“ in Paris, verantworteten Messeshop. Und mit einem neuen Konzept von Stefanie Hessler für den Parcours. In den vergangenen Jahren in der puppenstubenschönen Altstadt zu Hause, ist dieser öffentliche (und kostenlose) Part der Messe diesmal auf die sogenannte Kleinbasler Rheinseite umgezogen, in die Clarastraße: eine eher unglamouröse Geschäftsstraße mit den typischen Problemen, die der innerstädtische Einzelhandel heute hat, Leerstand inbegriffen.“ Nun dürfte aber gerade die „jüngere Klientel“ nicht unbedingt in dem Segment unterwegs sein, dass den im erwähnten Report festgestellten Rückgang beim Gesamtumsatz zu verantworten hat, der (ausnahmsweise) ausschließlich im Topsegment zu verzeichnen war.
Ungewohnt (system-)kritisch blickt Philipp Meier für die NZZ auf das Geschehen: „Der grosse Jahrmarkt der Kunst in Basel ist jeweils auch eine gewaltige Materialschlacht. Die Kunst wird hier zu Markt getragen. Sie steht zum Verkauf, nicht zum Genuss. Allenfalls zum Feilschen und Abwägen. Das Ja oder Nein interessiert rein monetär. Kritische Beurteilung fand früher statt. Zumindest bei den gestandenen Künstlernamen. Sie haben sich bereits bewährt. Hier haben sie ihren Auftritt als Labels und Marken der Kunstwelt. Hier erfüllen sie ihre gesellschaftliche Rolle als Statussymbole. Gossip und Überbau vereint Niklas Maak in seinem Basel-Überblick für die FAZ (Paywall): „In den vergangenen Jahren konnte man beobachten, dass zwei Kunstsysteme wie Eisschollen immer weiter auseinanderdrifteten: Die Biennalekunst und die Messekunst. Die Biennalekunst muss ihre Relevanz und ihren Wert dadurch beweisen, dass sie bestimmte gesellschaftliche Themen wie Klimawandel, Kolonialismus oder Identitätspolitik kritisch beleuchtet oder aber diverseste Formen von "Heilung" verspricht. Messekunst war dagegen oft eher dem Feld der dekotativen Inneneinrichtungen für supersolvente Sammler zuzurechnen; es gibt Künstler wie Anish Kapoor, dessen monumentale Luxusobjekte eigentlich nur noch in Messen und Privatmuseen auftauchen, wo sie wie Aschenbecher für Giganten die Hallen füllen.“
Ich habe mir die Satelliten für das Handelsblatt angesehen und zusätzlich die Hauptmesse für Artmagazine. Zu verblüffend ähnlichen Schlüssen kommt Julia Stellmanns Bericht von den Satelliten in der FAZ: „Was zunächst mutig erscheint, erweist sich jedoch als Fehlentscheidung. Zwischen Feldern, Bauernhöfen und Kühen treffen Spaziergänger auf ViP-Gäste, die orientierungslos auf der Suche nach Kunst umherirren. Wer Glück hat, entdeckt Julia Schers 'Eulen' (35.000 Euro, Galerie Drei und Esther Schipper), Tomás Saracenos 'Spinnen-Kompass' (40.000, Galerie Andersen’s) oder Margaret Raspés 'Regentrommeln' (14.000, Galerie Molitor) am Wegesrand. Für Informationen ist man auf eine App angewiesen: Vor Ort gibt es weder erklärende Schilder noch neben den Werken platzierte Kunstvermittler. Lediglich das namensgebende soziale miteinander auf dem Predigerhof und dem Mathis Hof sowie das Performance-Programm gelingen dem BSC. Ein Glück für die Liste Art Fair: Ihr läuft der Social Club zumindest vorerst nicht den Rang ab.“ In einem größeren Zusammenhang mit veränderten Kunstkonsumgewohnheiten sieht Khabir Jhala den Basel Social Club im Art Newspaper: „Aber Kunst auf schnelle Art und Weise zu verkaufen oder sogar zu betrachten, steht im Widerspruch zur diesjährigen BSC. 'Wir wollen die Zeit entschleunigen. Die Leute kommen nach Basel und sagen: 'Ich war in der Kunsthalle, ich war auf der Messe'. Sie hetzen durch die Bewegungen', sagt [Mitgründer Yael] Salomonowitz. An einem sonnigen Nachmittag in dieser Woche saßen die Besucher mit einem Bier in der Hand auf Sofas in den Feldern, sahen sich Filme auf einer Waldlichtung an und faulenzten mit einem Eis in der Sonne.“
Die Versteigerung des Sammlungsnachlasses von Rosa de la Cruz sei ein kolossaler Reinfall gewesen, rechnet Scott Reyburn im Art Newspaper vor. Er sieht den Flop als Zeichen einer größeren Entwicklung: „In den nächsten 20 Jahren werden in den USA schätzungsweise 84 Billionen Dollar an Vermögenswerten zwischen den Generationen auf die zwischen 1965 und 2012 Geborenen übertragen - also hauptsächlich von den Babyboomern auf die Generation X, die Millennials und die Gen Z, so Cerulli Associates, ein Finanzforschungs- und Beratungsunternehmen. Die Kunstwelt hofft, dass durch den 'großen Vermögenstransfer' nicht nur viele renommierte Privatsammlungen zugänglich werden, sondern auch eine neue Generation von Käufern das nötige Kleingeld hat, um wie ihre Vorfahren hohe Preise für Kunst zu zahlen. Dieses Win-Win-Szenario setzt aber auch einen generationenübergreifenden Transfer kultureller Werte voraus. Das ernüchternde Schicksal der Rosa de la Cruz-Sammlung [...], lässt vermuten, dass dies nicht unbedingt der Fall ist.“
Keine gute Figur mache Renault bei der Veräußerung seiner Unternehmenssammlung, kritisiert Bettina Wohlfarth in der FAZ: „Sowohl Renault als auch Christie’s hatten vor der Auktion die Rechtslage prüfen lassen. Juristisch stand ihr nichts entgegen. Paul Nyzam, der zuständiger Experte des Versteigerungshauses, erklärte gegenüber der Tageszeitung 'Le Figaro', sämtliche Künstler oder deren Rechtsnachfolger seien bezüglich zur Auktion stehender Werke vorab kontaktiert worden, keiner von ihnen habe sich gegen einen Verkauf ausgesprochen. Berechtigt zu sein bedeutet aber nicht unbedingt, recht zu haben. Mehrere Dokumente, die von Delphine Renard zitiert werden, belegen, dass ein moralischer Vertrag mit den Künstlern bestand. Die für Renault geschaffenen und in der Sammlung befindlichen Werke galten als 'unveräußerlich'.“
Mit der Mär vom angeblich unregulierten Kunstmarkt räumen die Anwälte Andreas Ritter und Aline Camin in der NZZ auf, indem sie Skandale der letzten Jahre analysieren: „Eine der Gemeinsamkeiten dieser Fälle ist die Leichtgläubigkeit von Sammlern, sich und ihr Geld ohne klare Verträge einem vermeintlich erfolgreichen Berater anzuvertrauen. Geht das Abenteuer schief, dann wird reihum beklagt, der Kunstmarkt sei unreguliert – ein noch immer 'rechtsfreier Raum' – und von dubiosen Geschäftspraktiken durchseucht. […] Richtig ist, dass der Kunstmarkt sehr wohl reguliert ist. Auf Verkäuferseite gibt es zahlreiche Regeln zu den Sorgfaltspflichten beim Verkauf und zu zunehmend rigideren Vorschriften bezüglich Kulturgutschutz. Auf Käuferseite sind die Geldwäschereibestimmungen über die letzten Jahre stetig verschärft worden. Selbst die immer zuerst am Pranger stehenden Zollfreilager werden reguliert – und von den Behörden kontrolliert.“
Den plötzlichen Abgang von Andrew Fabricant als COO bei Gagosian meldet Daniel Cassady bei Artnews unter Berufung auf die Erstmeldung von James Tarny bei Bloomberg (Paywall): „ Andrew Fabricant ist nicht mehr Chief Operating Officer bei Gagosian. Das geht aus einer E-Mail von Galeriegründer Larry Gagosian hervor, die ARTnews erhalten hat. Auch Fabricants Frau Laura Paulson, die seit 2019 die Kunstberatung der Galerie leitete, ist nicht mehr im Unternehmen. 'Andrew Fabricant und Laura Paulson sind nicht mehr für die Galerie tätig', sagte Larry Gagosian in seiner E-Mail. 'In diesem Moment der Entwicklung der Galerie sind wir an einem Punkt angelangt, an dem ich entschieden habe, dass es Zeit ist, dass wir uns trennen. Wir sind dankbar für ihren Beitrag in den letzten Jahren und wünschen ihnen alles Gute.' Klingt ein bisschen nach Elon Musk, nur mit Höflichkeitsfloskel am Ende.
Den jüngst verstorbenen Frankfurter Kunsthändler Christoph Andreas würdigt Christiane Fricke im Handelsblatt: „Damit verliert Deutschland nicht nur einen der führenden Marktrepräsentanten für die Kunst vom ausgehenden 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert, sondern auch einen nimmermüden Vermittler und Verteidiger der Branche insbesondere in Fragen der Restitution und des Kulturgutschutzes.“