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Kobels Kunstwoche

Sommer, Teil 1 von 3
Sommer, Teil 1 von 3
Stefan Kobel

Stefan Kobel

Kobels Kunstwoche 27 2024

Das Jahr 2024 ist zur Hälfte rum; es ist Zeit für einen Rückblick, wie immer in drei Teilen. Als geradezu prophetisch muss Hubertus Butins Thematisierung der Rückdatierung eigener Kunstwerke Anfang des Jahres gelten. Die nicht ganz unproblematische Praxis einiger Künstler, ihre eigenen Werke rückzudatieren, thematisiert Hubertus Butin in der FAZ: "Im Gegensatz zu Ernst Ludwig Kirchner ging es Giorgio de Chirico also nicht um die Herstellung eines höheren ideellen Werts; vielmehr zielte er auf eine banale Gewinnmaximierung. Gemeinsam ist beiden Künstlern jedoch, dass sie die Datierungen in betrügerischer Absicht gefälscht und ganze Generationen von Kunsthistorikern, Händlern und Sammlern hinters Licht geführt haben. Datierungen sind also keineswegs immer korrekt, nur weil die Künstler oder Künstlerinnen sie auf ihren Werken selbst vorgenommen haben."

Den großen und diversen Kunstmarkt Asiens nimmt Christian Herchenröder im Handelsblatt unter die Lupe: "Mit hohen Wachstumsraten ist es erst einmal vorbei. Dass China die US-Wirtschaft überholen wird, ist eine veraltete Prognose. Das Land der aufgehenden Sonne ist in eine Deflation gerutscht und hat mit einer ungelösten Krise am Immobilienmarkt, mit hoher Arbeitslosigkeit, schrumpfenden ausländischen Investitionen und geopolitischen Spannungen um Taiwan zu kämpfen. Das wirkt sich auch auf das Kunstklima des Landes und auf die Umsätze der beiden wichtigsten heimischen Auktionshäuser aus." Allerdings weist er auch darauf hin: "China ist nicht alles. Auch der japanische Kunstmarkt, der nach dem Crash von 1990 in einen Dornröschenschlaf gefallen war, beginnt sich wiederzubeleben.“

Wie es um Londongrad und dessen Funktion als sicherer Hafen für Oligarchen bestellt ist, beleuchtet Niklaus Nuspliger in der NZZ: "Liegenschaften sind in Grossbritannien das Vehikel der Wahl für Ausländer, die Vermögen aus zweifelhafter Herkunft anlegen wollen. Wohnungen und Villen lassen sich leicht mit Kunst, teuren Möbeln oder anderen Wertgegenständen füllen. 2015 zeigten Investigativjournalisten des TV-Senders Channel 4 im Dokumentarfilm 'From Russia with Cash', wie Londoner Immobilienagenten selbst bei offensichtlich krimineller Herkunft der Kundengelder beide Augen zudrücken. Bisher konnten sich die Oligarchen hinter Offshore-Firmen etwa auf den British Virgin Islands verstecken, die die Immobilien in ihrem Namen erwarben. Neu müssen solche Firmen in Grossbritannien registriert sein, was Transparenz hinsichtlich der Endbegünstigten schafft. Verschärft werden auch die Identitätskontrollen bei der Gründung eines britischen Unternehmens; bisher hatten hierfür ein paar Klicks auf einer Website genügt." Was en passant durch die Lektüre wieder einmal deutlich wird: Nicht Kunst war und ist das bevorzugte Vehikel für Geldwäsche, sondern Immobilien. Daran dürfte sich nicht viel geändert haben.

Hongkongs Kunstmarkt blüht und gedeiht offenbar, so Reena Devi bei Artnews: "Trotz der jüngsten Spekulationen darüber, dass Hongkongs Vorrangstellung als wichtiger Akteur in der Kunstwelt in den letzten Jahren nachgelassen hat, was vor allem auf innenpolitische Proteste und die Beschränkungen des Covid-19 zurückzuführen ist, setzen Megagalerien und globale Auktionshäuser weiterhin auf die Stadt. In dieser Woche eröffnete Hauser & Wirth eine neue Galerie auf Straßenebene im zentralen Geschäftsviertel von Hongkong."

Die NZZ hat im März das Sammlernetzwerk Independent Collectors geschluckt, ist einer Pressemitteilung zu entnehmen: „Ein strategisch wichtiger Schritt hin zum neuen Kunstangebot ist die Übernahme von Independent Collectors Ende 2023 durch die NZZ. Dadurch wird die Verbindung der NZZ zum Kunstmarkt und zur Kunst-Community gestärkt, insbesondere auch im Wachstumsmarkt Deutschland. Das Online-Netzwerk mit Sitz in Berlin hat Zugang zu knapp 7’000 Sammlungen aus rund 100 Ländern und ist bestens vernetzt mit privaten Sammlerinnen und Sammlern, Galerien und Kunstschaffenden. Unternehmen, die sich für Kunst begeistern, werden über das neue Ökosystem Kunst der NZZ künftig die Möglichkeit haben, sich stärker in diesem Umfeld zu positionieren und auf innovative Weise zu engagieren.“ Der letzte Satz ist vielleicht nicht unbedingt notwendig, damit auch wirklich jeder begreift, worum es geht.

Den neuen Art Basel UBS Art Market Report fasst Ursula Scheer in der FAZ zusammen: „Unterm Strich bleibt – obwohl man sich immer noch über vorpandemischem Niveau bewegt – dem Report zufolge ein Minus von vier Prozent. Um so viel ist der geschätzte Gesamtumsatz des weltweiten Kunsthandels 2023 im Vergleich zum Vorjahr geschrumpft, auf rund 65 Milliarden Dollar. Verantwortlich dafür war der Analyse nach vor allem das Spitzensegment, in dem nicht mehr eine ganz so atemlose Jagd nach Top-Werken zu Höchstpreisen herrschte wie in den Vorjahren. Weniger als ein Prozent der verkauften Kunstwerke sorgt für 55 Prozent der Wertschöpfung: Deshalb trifft es den Kunstmarkt spürbar, wenn sich Auktionsverkäufe jenseits der Zehn-Millionen-Dollar Marke ausdünnten, wie 2023 geschehen.“ Vergleichbare Erkenntnisse zieht Daniel Cassady für Artnews aus dem Bericht. Kabir Jhala hebt im Art Newspaper vor allem auf den britischen Markt ab.

Damien Hirst hat neu produzierte Kunstwerke künstlich gealtert und vordatiert. Maeve McClenaghan vom Guardian ist ihm zunächst bei drei Arbeiten auf die Schliche gekommen und hat kurz darauf noch einen auf alt getrimmten Hai in Aspik identifiziert: „Die Datierung von Kunstwerken bezieht sich in der Regel auf das Jahr, in dem sie fertiggestellt wurden. In einer Antwort auf Fragen des Guardian erklärte Hirsts Firma Science Ltd. jedoch, dass das Datum, das der Künstler den Formaldehyd-Werken zugewiesen hat, nicht dem Datum ihrer Entstehung entspricht. 'Formaldehyd-Werke sind konzeptionelle Kunstwerke und das Datum, das Damien Hirst ihnen zuweist, ist das Datum der Konzeption des Werks', so das Unternehmen. [...] Hirsts Anwälte stellten später klar, dass die Verwendung des Datums der Konzeption im Titel zwar der 'übliche Ansatz' des Künstlers für Formaldehyd-Werke sei, er aber manchmal auch das Datum der Herstellung der Skulpturen verwende. 'Die Datierung von Kunstwerken, insbesondere von konzeptionellen Kunstwerken, unterliegt keinem Industriestandard', sagten sie und fügten hinzu: 'Künstler haben das Recht, bei der Datierung ihrer Werke uneinheitlich zu sein (und sind es oft auch).'“ Hier irrt der (Jura-) Dichter. Da Vintageität und Provenienz Teil der preisbildenden Aura eine Kunstwerks sind, werden diese Dinge vom Markt sehr ernst genommen, und Hirst könnte sich, seinen Sammlern/Investoren und Galerien in seiner Gier einen Bärendienst erwiesen haben.

Der Geschäftsjahr 2023 der Art Basel-Mutter MCH Group AG ist ähnlich verlustreich wir das Vorjahr, ist dem Jahresabschluss zu entnehmen. Hinzugekommen ist noch ein Sondereffekt in Form einer Rückstellung für den eventuellen Rückbau eines Parkplatzes in Zürich.

Die Private Equity-Firma Silver Lake, der größte Einzelaktionär des Frieze- Mutterkonzerns Endeavor, will Anfang April das Unternehmen ganz schlucken und von der Börse nehmen, meldet Reuters: „Der Hollywood-Powerbroker Ari Emanuel, der CEO von Endeavor, hat das Unternehmen, das seine Wurzeln in der Vertretung von Film- und Fernsehtalenten hat, in ein Sport- und Unterhaltungsunternehmen mit mehr als 20 Übernahmen verwandelt.“ Das Übernahmeangebot an die Aktionäre bewertet Endeavor dem Artikel zufolge mit 13 Milliarden US-Dollar.

Mit ihren hartnäckigen Recherchen zu Gustav Klimts Bildnis Fräulein Lieser treibt Olga Kronsteiner das Wiener Auktionshaus Kinsky im Standard weiterhin vor sich her.

Der Kunstmarkt muss sich warm anziehen – die Luxusbranche ist verkühlt. LVMH enttäuscht laut dpa die Analysten: „Einbußen erlitt LVMH besonders im Geschäft mit alkoholischen Getränken wie Hennessy Cognac. Aber auch die größte Sparte mit Mode und Lederwaren wie Handtaschen von Louis Vuitton kam auf vergleichbarer Basis nur auf ein Plus von zwei Prozent. Bei der Schmucksparte mit der Marke Tiffany ging der Erlös organisch um zwei Prozent zurück. 2023 war dem Konzern dank einer starken Nachfrage nach Mode, Schmuck und Parfüm noch das beste Jahr seiner Geschichte gelungen.“

Patrick Drahi kennt sich aus mit Schulden. Das von ihm 2019 für 3,7 Milliarden Dollar übernommene Auktionshaus Sotheby's hat jetzt ein neues Produkt entwickelt, mit dem es seine gegen Kunst als Sicherheit vergebenen Kredite im Umfang von 700 Millionen US-Dollar bündelt und selbst beleiht. Tim Schneider erklärt im Mai die Sotheby’s ArtFi Master Trust, Series 2024-1 Asset-Backed Notes in der gewohnten Ausführlichkeit für das Art Newspaper. Wenn alles gut läuft, könnte beim nächsten Crash vielleicht der Kunstmarkt die Finanzindustrie mit in den Abgrund reißen statt umgekehrt wie 2008.

Ein klein wenig sensationsheischend titelt der Guardian, Damien Hirst hätte mindestens 1.000 Kunstwerke rückdatiert. (Eine Nacherzählung auf Deutsch bietet Ursula Scheer von der FAZ an). Meave McClenaghan habe mit fünf Insidern gesprochen, die bezeugten, dass von den 10.000 gepunkteten Gemälden des Projekts „The Currency“ wahrscheinlich sogar ein Vielfaches davon nicht wie angegeben im Jahr 2016, sondern erst ab 2018 produziert worden seien. Bei der Aktion im Jahr 2021 konnten Käufer wählen, ob sie nach einjähriger Haltefrist das physische Werk oder das dazugehörige NFT haben wollten. Es handelt sich also um eine Edition, wenn auch von 10.000 Unikaten. Das ist etwas anderes, als Monumentalskulpturen oder große Leinwände nachträglich einer wichtigen Werkphase zuzuordnen und damit potenziell im Wert zu steigern.

Christie's ist tatsächlich Opfer von Datendieben geworden. Zachary Small schreibt in der New York Times: „Die Hacker sagten, dass Christie's es versäumt habe, ein Lösegeld zu zahlen, als eines gefordert wurde. 'Wir haben versucht, eine vernünftige Lösung mit ihnen zu finden, aber sie haben die Kommunikation auf halbem Weg abgebrochen', schrieben die Hacker in ihrem Dark-Web-Post, der von einem Reporter der New York Times überprüft wurde. 'Es ist klar, dass die Veröffentlichung dieser Informationen zu hohen Geldstrafen aufgrund der GDPR führen und ihren Ruf bei ihren Kunden ruinieren wird.' GDPR, die General Data Protection Regulation, ist ein Datenschutzgesetz in der Europäischen Union, das Unternehmen dazu verpflichtet, offenzulegen, wenn durch Cyberangriffe sensible Kundendaten kompromittiert worden sind. Bei Nichteinhaltung des Gesetzes drohen Unternehmen Bußgelder, die bis zu 20 Millionen US-Dollar betragen können.“

Die gute Nachricht zuerst: Der Mehrwertsteuersatz werde wieder auf einheitlich sieben Prozent gesenkt, meldet Ursula Scheer in der FAZ: „Das Bundeskabinett hat den vom Finanzministerium vorgelegten Entwurf für ein Jahressteuergesetz 2024 beschlossen – und damit den ermäßigten Steuersatz von sieben statt wie bisher 19 Prozent für die Lieferung und den Erwerb von Kunstgegenständen.“ Christiane Fricke erklärt im Handelsblatt die bisherige und die zukünftige Regelung: „Insbesondere milderte die Differenzbesteuerung die Benachteiligung Deutschlands im Wettbewerb mit den wichtigsten außereuropäischen Kunsthandelsplätzen. Sie konnte nämlich bei Einlieferungen aus den Nicht-EU-Staaten Schweiz, den USA und Großbritannien angewendet werden. So ließen sich die Aufschläge auf den Zuschlagspreis auf rund 41 Prozent drücken.“ Auch der BVDG, dessen Hartnäckigkeit die Neuregelung zu verdanken ist, freut sich in einer Pressemitteilung: „Galerien werden endlich wieder wie die künstlerischen Urheber:innen und viele andere Kulturunternehmen gleichbehandelt. Das stärkt ihre Wettbewerbsfähigkeit und macht sie fit für die Zukunft.“ Die Regelung soll erst im nächsten Jahr inkrafttreten.

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Dr. Stephan Zilkens | Zilkens Kunstversicherung