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Der Kunsthandel läuft angesichts der aktuellen Weltlage in einigen Bereichen erstaunlich gut. Gleichzeitig unterliegt er gerade einem grundlegenden Wandel, wie im zweiten der drei Teile unseres Saisonrückblicks deutlich wird.
Digitalisierung first und die Auktionshäuser als Gewinner dieses Trends sind Thema eines Aufsatzes von Christie's-Präsident Dirk Boll in der NZZ vom 16. Januar: „2021 wurden auf Kunstauktionen erstmals mehr als die Hälfte aller angenommenen Lose 'online only' verkauft, eine Folge der Digitalisierung des pandemischen Vorjahres. Diese hat auch die Vermittlung von Kunst massiv verbessert, von der virtuellen Darstellung der Werke bis hin zu vertieften Inhaltsangeboten auf Websites. Die Entwicklung der Distribution zeigt zwei Gewinner: Instagram, das sich mit einem doppelt so hohen Transaktionsanteil aller Besuche von konkurrierenden Social-Media-Kanälen absetzen konnte, und die Auktionsindustrie, deren Strukturen für eine Digitalisierung prädestiniert waren.“
Aufstieg und Fall des Art Pension Trust – kurz APT – beschreibt Catherine Wagley bei Artnet.
Die Kunsthandelsbranche kann aufatmen, zumindest in den USA. Einem Bericht des dortigen Finanzministeriums zufolge seien schärfere Maßnahmen zur Geldwäschekontrolle aktuell nicht dringend erforderlich, fassen Graham Bowley und Zachary Small Anfang Februar in der New York Times die Ergebnisse der Untersuchung zusammen: „Die Studie kam jedoch zu dem Schluss, dass in der Branche nur ein geringes Risiko der Terrorfinanzierung oder des Verkaufs von Beutekunst aus Ländern wie Syrien zur Unterstützung terroristischer Aktivitäten besteht. Demnach werden teure Kunstwerke nur selten bar bezahlt, was sie wahrscheinlich zu einem unattraktiven Vehikel für die Wäsche illegaler Gelder macht. Darüber hinaus stellten die Autoren fest, dass Auktionshäuser und große Galerien im Rahmen ihrer Bemühungen, ihren Ruf und ihre Geschäfte zu schützen, bereits eine Due-Diligence-Prüfung ihrer Kunden durchführen, die freiwillige Schutzmaßnahmen gegen Missbrauch bietet.“
Im Zeichen des Klimawandels werde sich auch die Art ändern, wie Kunst versichert wird, ist sich die Juristin Catrin Povey Mitte Februar im Art Newspaper sicher: "Eine alternative Versicherungsoption könnte die parametrische Versicherung sein. Die parametrische Versicherung basiert zwar immer noch auf ähnlichen Katastrophenmodellen, bietet aber eine im Voraus festgelegte Auszahlung bei Eintritt eines bestimmten auslösenden Ereignisses, z. B. wenn der Auslöser ein Erdbeben mit einer Stärke von über vier auf der Richterskala ist. Diese Policen können den Prozess rationalisieren und die Verluste besser vorhersehbar machen. Bei der parametrischen Versicherung von Kunstgegenständen ist jedoch zu bedenken, dass die Versicherung von Kunstgegenständen nicht dasselbe ist wie die Versicherung von ersetzbaren Gegenständen - ein Kunstwerk, das einmal verloren ist, ist für immer verloren."
Andererseits begännen Krypto- und NFT-Millionäre, sich für physische Kunstwerke zu interessieren, die wiederum von Galerien und Auktionshäusern heiß umworben würden, erklärt Zachary Small in der New York Times: "Kritiker haben gespottet, dass eine Ehe zwischen NFTs und der Kunstwelt unmöglich sei. Doch die kommerzielle Kunstwelt ist geradezu besessen davon, den Geschmack der Krypto-Neureichen zu treffen. Fast ein Jahr, nachdem Künstler wie Beeple und Pak NFTs (Non-Fungible-Tokens) für zig Millionen Dollar verkauft haben und damit die typischerweise technikfeindliche Kunstindustrie dazu inspiriert haben, sich ins Metaversum zu begeben, formt sie sich um diese neuen Sammler herum neu."
Der russische Überfall auf die Ukraine Ende Februar lässt die meisten anderen Themen unwichtig erscheinen. Die Informationslage ist für Außenstehende unübersichtlich, die sozialen Medien sind voll von Fake und manipulierten Bildern. Das Art Newspaper hat eine Liste von Accounts verifizierter Fotojournalisten zusammengestellt.
Wie die Sanktionen gegen Russland den Kunstmarkt betreffen könnten, versuchen Katya Kazakina und Eileen Kinsella Anfang März für Artnet zu ergründen.
Sotheby's und Christie's haben ihre Russian Sales in London abgesagt, meldet Ursula Scheer in der FAZ: "Angesicht der immer länger werdenden Sanktionslisten mit Namen von russischen Personen und Unternehmen hielten es die Häuser offenbar für ratsam, auf Veranstaltungen, die Klientel auf Einlieferer- wie Käuferseite aus Russland anziehen, zu verzichten. Ein Sprecher von Christie’s sagte, man habe eine 'Verantwortung', auf 'geopolitische Ereignisse zu reagieren, die außerhalb unserer Kontrolle liegen'." Bei diesen Auktionen wird Handelsware verkauft, keine zeitgenössische Kunst, die Absage schadet also nicht der der kremlkritischen Kunstszene.
Nobel sei das Ansinnen einer Gruppe von 50 Sammlern, einen Code of Conduct für ethisches und verantwortungsvolles Sammeln etablieren zu wollen, gesteht Melanie Gerlis in ihrem Kommentar im Art Newspaper zu. Gleichzeitig habe sie Bedenken: "Doch je mehr ich die Empfehlungen lese, desto mehr irritieren sie mich. Es scheint über den Rahmen des Kodexes hinauszugehen, darauf hinzuweisen, dass Käufer nichts Illegales tun sollten: 'Sexuelle Belästigung [gegenüber einem Künstler] ist streng verboten', zum Beispiel. Es gibt auch einige Verantwortlichkeiten, die meines Erachtens nicht unbedingt den Sammlern obliegen, insbesondere 'Händler in die Pflicht nehmen, um Künstler pünktlich zu bezahlen'. [...] Die Forderung nach einem Strukturwandel hin zu einem ethischeren Umfeld muss an anderer Stelle im Marktsystem ansetzen." Wieso eigentlich? "Wer zahlt, schafft an", oder "Wer zahlt, bestimmt die Musik", weiß der Volksmund. Es gibt keinen Grund, warum das nicht auch im Kunstmarkt gelten sollte.
Nur eine knappe Meldung in der FAZ ist Ursula Scheer der Art Market Report von Clare McAndrew für Art Basel und UBS online wert. Mehr ins Detail geht ihre Analyse in der Druckausgabe vom 2. April: "An Kapital und Kauflust mangelt es den Wohlhabenden nicht: Die durchschnittlichen Ausgaben der für den Bericht befragten Sammler haben sich zwischen 2020 und 2021 fast verdoppelt und erreichten 274000 Dollar. Am meisten geben durchschnittlich die Babyboomer aus: 346000 Dollar. Doch wo lebt die Mehrheit der potentiell auf dem Kunstmarkt aktiven Superreichen? Wieder stehen die Vereinigten Staaten an erster Stelle (28 Prozent der Milliardäre) vor China (23 Prozent, Tendenz stark steigend), gefolgt mit je fünf Prozent von Indien, Deutschland – und Russland. Das setzt die Tragweite der Sanktionen gegen russische Personen und Institutionen in Perspektive." Eine ausführliche Zudammenfassung bietet Eileen Kinsella bei Artnet. Für das Handelsblatt fasse ich die Ergebnisse zusammen.
Über die Bedeutung der Russland-Sanktionen für den Kunstmarkt und Geldwäsche allgemein spricht Julia Voss in der FAS vom 10. April mit dem Berliner Anwalt Pascal Decker. So seien Privatverkäufe von den Sorgfaltspflichten der Geldwäscheregelungen nicht betroffen: „Nicht, wenn es rein privat ist. Aber Vorsicht: Wenn es kein rein privater Verkauf ist, beispielsweise weil ein Kunstvermittler beteiligt ist, sind die Vorgaben des Geldwäschegesetzes in vollem Umfang zu beachten. Übrigens ist es natürlich auch Ihre persönliche Verantwortung, zu entscheiden, welche Geschäfte Sie grundsätzlich abschließen möchten und inwieweit Sie es in Kauf nehmen, potentiell kriminelle Geldwäscher zu unterstützen."
Auf die Verantwortung des Kunsthandels mit Blick auf die Russland-Sanktionen weist Sebastian Preuss Mitte April in der WELTKUNST hin: "Dennoch sind die Sanktionen, bei denen der Kunstmarkt ja ohnehin nur eine Randrolle spielt, richtig und unvermeidlich. Was alle Akteure vor allem tun müssen: darauf achten, dass die Beschränkungen nicht umgangen werden. Die Panamapapiere enthüllten 2017, dass die Putin-Vertrauten Arkadi und Boris Rotenberg, nach der Krimannexion eigentlich sanktioniert, über Umwege ein Magritte-Gemälde für mehrere Millionen Dollar verkauften. Und immer noch bestehen genügend Möglichkeiten, Geschäfte über graue Firmengeflechte zu tätigen. Jedes Auktionshaus, jede Galerie hat es selbst in der Hand, zu prüfen, wer hinter einer nie gehörten Firma auf den Virgin Islands steht, hinter einem Zürcher Anwalt, der ein teures Bild kaufen oder anbieten will. In verdächtigen Fällen die Behörden nicht einzuschalten bedeutet, sich mitschuldig zu machen."
Frankreichs Auktionshäuser hätten im vergangenen Jahr 4 Milliarden Euro erlöst, rund 40 Prozent mehr als im Jahr zuvor, meldet Olga Grimm-Weissert im Handelsblatt: "Diese [Bilanz] umfasst jedoch nicht nur Kunst und Sammelobjekte, sondern auch Auktionen von Zuchtpferden sowie Gebrauchtwagen und Maschinen für Industrie und Handwerk. Auf Kunst und Sammelobjekte entfallen 1,9 Milliarden Euro (1,858 Milliarden Euro). Dass Frankreich vom Brexit profitiert, signalisieren die 1,3 Milliarden Euro, mit denen sich internationale Bieter an französischen Auktionsergebnissen beteiligten. Selbstverständlich inklusive der reinen Onlineversteigerungen."
Die Einrichtung eines monatlichen Seefrachtdienstes für Kunst zwischen London und New York durch Christie's und das Logistikunternehmen Crozier meldet Eileen Kinsella Ende April bei Artnet.
Dem Standort London drohe eine Abwärtsspirale, fürchten Anny Shaw und Gareth Harris Anfang Mai im Art Newspaper: „Rechtsanwalt Pierre Valentin spricht von einem 'Schneeballeffekt'. Er sagt: 'Wenn die großen Auktionshäuser die Zahl der Verkäufe in London reduzieren, entlassen sie Mitarbeiter. Die großen Galerien ziehen nach. Die Kunstspezialisten ziehen in Städte wie New York, Hongkong, Paris und Zürich, wo sie Arbeit finden können.' Einige warnen davor, dass das, was in den 1960er Jahren in Paris geschah, als die Einführung eines komplizierten Systems von Steuern und Abgaben auf Kunstverkäufe zur Verlagerung des Marktes in die USA und das Vereinigte Königreich beitrug, auch in Großbritannien geschehen könnte."
New York liegt demnächst im Wilden Westen, zumindest die Auktionsbranche, die von der Stadtregierung massiv dereguliert wird, wie Graham Bowley und Robin Pogrebin in der New York Times berichten: "Die Vorschriften waren über Jahrzehnte hinweg erlassen worden, um die Aufsicht über eine Kunstindustrie zu verbessern, die lange Zeit als undurchsichtig galt - mit Käufern und Verkäufern, die oft von der Öffentlichkeit abgeschirmt wurden - und verlangten vor allem, dass bestimmte Informationen offengelegt werden, etwa ob ein Auktionshaus eine finanzielle Beteiligung an einem zum Verkauf stehenden Werk hat. [...] Das neue Gesetz sieht vor, dass Auktionshäuser ab dem 15. Juni keine Lizenz mehr benötigen. Die branchenspezifischen Vorschriften, die als Reaktion auf mehrere Skandale und das explosive Wachstum der Kunstindustrie eingeführt wurden, sind bereits außer Kraft gesetzt worden. Die Stadtverwaltung verteidigte die Abschaffung der Vorschriften als nützliche Vereinfachung, die das Geschäftsklima in New York verbessern wird. Einige Kunstmarktexperten äußerten jedoch die Sorge, dass die Stadt zu weit gegangen sei.“
In ihrem Auktionsrückblick für die Financial Times erwähnt Melanie Gerlis Mitte Mai eher nebenbei das neue Einlieferungstool, mit dem Sammler Werke der Galerie David Zwirner zum Verkauf anbieten können.
Die in zwei Tranchen versteigerte Macklowe-Sammlung markiere einen neuen Rekord, notiert Ursula Scheer in der FAZ: „Mit einer Gesamtsumme von 922,2 Millionen Dollar brutto ist die Macklowe-Sammlung, die große Namen wie Giacometti, Twombly, Wahrol, Polke, de Kooning und Richter vereint, nun die teuerste je bei einer Auktion versteigerte Kunstkollektion. Damit löst sie die bei Christie's versteigerte Sammlung von Peggy und David Rockefeller an der Top-Position ab, die 2018 in mehreren Auktionen insgesamt 835,1 Millionen Dollar brutto einspielte.“
Ein Resümee der Auktionswoche, die über zwei Milliarden Dollar allein mit den Abendauktionen einspielte, zieht Barbara Kutscher im Handelsblatt.
Wie reich man tatsächlich sein muss, um bei den großen Auktionen mitspielen zu können, rechnet James Tarny auf schmerzhafte Weise bei Bloomberg vor: „Um es klar zu sagen: Kunst ist für alle da, und jeder kann ein Kunstwerk kaufen. Aber wenn Sie weiter lesen, sollten Sie bedenken, dass der Kunstmarkt für eine vergleichsweise winzige, objektiv reiche Minderheit bestimmt ist.“
Ob die Art Basel in Hongkong angesichts der politischen Entwicklung überhaupt noch eine Berechtigung habe, fragt Saskia Trebing Ende Mai bei Monopol. Immerhin sei die Veranstaltung zufriedenstellend verlaufen, resümiert Reena Devi im Art Newspaper: „Bei der zweitägigen Preview der diesjährigen Art Basel in Hongkong (bis 29. Mai) sorgten Fernverkäufe und der Fokus auf asiatische Kunst dafür, dass sich die Messe trotz geringerer Größe, Besucherzahlen und internationaler Aussteller gut entwickelte - wenn auch nicht unbedingt zukunftssicher.“
Mit einem vorläufigen Umsatz von 27 Millionen Euro habe sich Ketterer in München an die Spitze der deutschen Kunstversteigerer gesetzt, verkündet Sabine Spindler Anfang Juni im Handelsblatt: "Sammler und Kunst-Investoren zeigten sich Freitagabend in bester Kauflaune bei Ketterers Versteigerung von Werken der Klassischen Modernen sowie der Nachkriegs- und Gegenwartskunst. Vertrauensverlust in den Kunstmarkt sieht anders aus. Nicht ausschließlich die fünf Millionenerlöse führten zu einer blendenden Bilanz des Abends. Erstaunlich ist die Investitionsbereitschaft in die gerade klassisch werdende Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im sechsstelligen Preisbereich. Werke von Malern und Bildhauern, die fest in den allgemeinen Kanon eingeschrieben sind, erlebten beachtliche Steigerungen."
Die Art, wie aktuell Preise für und die Bewertung von Kunst entstehen, sei alarmierend, warnt die Kunstberaterin Lisa Schiff Mitte Juni bei Artnet: „In dieser Fan-basierten Ökonomie muss Kunst nicht mehr physisch erlebt oder in einen historischen Kontext gestellt werden. Tatsächlich spielt das Objekt selbst keine Rolle mehr, es bleibt nur noch ein Bild, das potenziellen Profit bedeutet, mehr nicht. Dies sollte ein dringender Aufruf zur Diskussion sein. Der potenzielle Todesstoß für eine traditionelle Form der Wertschöpfung sollte jeden ernsthaft beunruhigen, der das wahre Wesen, die Macht und die Fähigkeit der Kunst verteidigen will, zu inspirieren, zu bilden, zum Handeln anzuregen und uns daran zu erinnern, dass wir Menschen sind. Es gibt vier Faktoren, die diese Krise verstärken: die Vormachtstellung von Auktionen, der Zusammenbruch der Abendauktion, die Ausweitung des Kunstkredits und das Aufkommen einer neuen Form der Validierung.“
Der britische Zoll beginne mit der Verhängung von Strafen gegen Kunsthändler wegen Nichteinhaltung der Geldwäscheregeln, meldet Riah Pryor Ende Juni im Art Newspaper.
Bonhams-CEO Bruno Vinciguerra baut weiter an seinem Auktions-Imperium und verleibt sich das Cornette de Saint Cyr ein, berichtet Olga Grimm-Weissert Anfang Juli aus Paris für das Handelsblatt: „Durch die letzten Ankäufe sind die von Bonhams angebotenen Marktsegmente auf 53 verschiedene Gebiete angewachsen. Cornette de Saint Cyr etwa beschert Bonhams Comics-Auktionen. Vinciguerra diskutiert natürlich jede Neuakquisition eines Auktionshauses mit dem 'Board' des Investmentfonds Epiris, der ihm finanzielle Freiheit lässt. Er meint, die Entscheidung, Bonhams im Jahr 2018 anzukaufen, sei wegen des Entwicklungspotentials dieser 'schlafenden Schönheit' gefallen. Sie sei seit 1793 als eine solide Marke bekannt.“ Noch gleicht das Konglomerat aus dem eigenen und vier zugekauften Auktionshäusern eher einem Flickenteppich aus Gemischtwaren für den Mittelmarkt. Doch das muss nicht so bleiben, mit einer klugen Internetstrategie und dem nötigen Kapital, das ja anscheinend vorhanden vorhanden ist.