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Kobels Kunstwoche

RIP Clearing
RIP Clearing
Stefan Kobel

Stefan Kobel

Kobels Kunstwoche 36 2025

Ein apokalyptischer Sommer neigt sich seinem Ende zu – zum Glück. Nicht nur die Temperaturen in weiten Teilen Europas sorgten für Hiobsbotschaften. Auch im Kunstmarkt häuften sich die schlechten Nachrichten. Die Zahl der Art Basel-Galerien, die dieses Jahr aufgeben, steigt stetig und scheint über den Sommer noch zuzunehmen.

Das eigene Ableben verkündet die Galerie Clearing mit Standorten in New York und Los Angeles (zwischenzeitlich auch Brüssel) bei Instagram. Eigentümer Olivier Babin spricht darüber mit Carlie Porterfield im Art Newspaper (evtl. Paywall): „'Wir wurden von den Gemeinkosten erdrückt, was ziemlich typisch ist. Miete, Versand, Messen – all diese Dinge werden immer teurer, während die Einnahmen einbrechen', sagt Babin. 'Ein vernünftiger Finanzvorstand hätte schon vor sechs, zwölf, 18 oder 24 Monaten beschlossen, den Stecker zu ziehen.'“ An ein Weiterleben glaubt Andrew Russeth bei Artnet: „Eine letzte Anmerkung: Im Juni übernahmen Babin und seine Mitstreiter während der Art Basel ein weitläufiges Haus in Basel und füllten es mit Kunstwerken, in der Hoffnung, Sammler aus dem nahe gelegenen Messezentrum anzulocken. Es war ein gewagtes Unterfangen. Angesichts der schlechten Nachrichten scheint es nun wie ein gut ausgeführter, aber erfolgloser Verzweiflungsversuch. Die Galerie ging stilvoll unter und ging dabei wie von Anfang an Risiken ein. Jetzt ist es vorbei, aber ich vermute, dass wir noch nicht das letzte von Olivier Babin gehört haben.“

Die New Yorker Galerie Tanya Bonakdar schließt ihre Niederlassung in Los Angels, meldet Maxwell Rabb bei Artsy: „Die Galerie gab in einer Erklärung, die zuerst von Artnet News [evtl. Paywall] veröffentlicht und anschließend an Artsy weitergeleitet wurde, bekannt, dass sie eine 'wohlüberlegte Entscheidung' getroffen habe, ihren Mietvertrag im September dieses Jahres nicht zu verlängern. In der Erklärung erklärte die Galerie: 'Nach sieben bedeutungsvollen Jahren in der Highland Avenue bot das Ende des Mietvertrags eine natürliche Pause, um alles, was wir mit dem Ausstellungsprogramm der Galerie in Los Angeles erreicht haben, zu bewerten und zu feiern.'“

Die New Yorker Galerie des 2020 verstorbenen Paul Kasmin schließt und wird ihren bisherigen Leitern Nick Olney und Eric Gleason unter ihren eigenen Namen weitergeführt, berichtet Daniel Cassady bei Artnews.

Laurent Godin ist mit seiner Galerie von Paris nach Arles gezogen. Unterwegs ist seine Website verloren gegangen.

In Deutschland übergibt die Kölnerin Brigitte Schenk nach über 30 Jahren ihre Kölner Galerie an ihre Tochter Joana Rose L. Weitzdörfer, die den Betrieb unter dem Namen Schenkweitzdörfer weiterführen wird.

Vom „schleichenden Tod der zeitgenössischen Kunstgalerie“ spricht Keith Estiler bei Hypebeast: „Eine wichtige Triebkraft hinter diesem Wandel ist die sich wandelnde Nachfrage nach verschiedenen Arten von Kunst. Die einst dominierenden „Blue-Chip“-Künstler, Meister, deren Werke atemberaubende Preise erzielten, sind nicht mehr die einzigen, die das Sagen haben. Sammler wenden ihre Aufmerksamkeit zunehmend „Red-Chip“-Künstlern zu, einer neuen Klasse von Talenten, deren Wert eher auf viralem Hype und kultureller Relevanz als auf institutioneller Anerkennung beruht. Diese Künstler sind aus zwei Gründen attraktiv: Ihre Werke sind oft leichter zugänglich und erschwinglicher und sie bringen frische, vielfältige kulturelle Perspektiven mit, die für ein globales Publikum relevant und spannend sind.“

Eine historische Einordnung der Krise nimmt Maxwell Rabb für Artsy vor: „Es ist nicht das erste Mal, dass sich die amerikanische Kunstbranche in einer solchen Phase der Selbstreflexion befindet. Anfang der 1990er Jahre führte eine schwere Rezession zu einem Einbruch des Marktes, den das Time Magazine als „das große Massaker von 1990” bezeichnete. Ähnliche turbulente Zeiten gab es 2008, als laut New York Times rund zwei Dutzend New Yorker Galerien schlossen, und 2016, als innerhalb von 18 Monaten mehr als ein Dutzend Galerien in der Stadt ihre Türen schlossen. Damals wie heute wurden ähnliche Fragen zur zukünftigen Ausrichtung der Branche gestellt.“

Das aktuell praktizierte Modell der Kunstmesse scheine vielen Marktteilnehmern nicht nachhaltig, hat eine Befragung unter Galeristen herausgefunden, die Karen K. Ho für Artnews zusammenfasst: „First Thursday, ein in London ansässiges Unternehmen für Vertriebsinformationen, befragte für seinen ersten Kunstmessebericht 56 kommerzielle Galerien in Europa, Asien, Afrika und Nordamerika. Einige der Interviews fanden direkt auf den Messen Frieze, Art Basel, Independent, TEFAF und Art SG statt. Der Bericht ergab, dass fast die Hälfte der befragten Galerien (46 Prozent) über 30.000 £ (40.000 $) für die Teilnahme an einer einzigen Messe ausgaben und fast jede fünfte Galerie (24 Prozent) zwischen 50.000 £ und 100.000 £. Dies korreliert mit den 83 Prozent der Befragten, die hohe Teilnahmekosten als größte Herausforderung für die Ausstellung auf Messen nannten, gefolgt von 77 Prozent der Befragten, die die Unsicherheit der Verkäufe als zweitgrößte Herausforderung angaben. 'Das Modell erscheint derzeit nicht nachhaltig', sagte ein Galerist.“ Mit der Erstellung der Studie war anscheinend Captain Obvious beauftragt.

Das Engagement der Art Basel in Katar erregt auch außerhalb der Kunstwelt Aufmerksamkeit. Für Politico untersucht Carlo Martuscelli die Rolle der Messe in der Strategie des Emirats: „[Der Künstler und Wissenschaftler Gregory] Sholette sagte, dass die Organisatoren in Basel berücksichtigen müssten, wie die Ausrichtung der Messe die Soft Power Katars stärken würde. 'Das sollte nicht einfach so gemacht werden, um Teil der politischen Sphäre Katars zu werden, denn genau das würde Katar und anderen Ländern in dieser Region bei ihrer PR-Arbeit helfen.' In einem Interview mit POLITICO beantwortete Noah Horowitz, CEO der Art Basel, Fragen zur Menschenrechtslage in Katar und zur Rolle, die die Art Basel dabei spielen könnte, dem Land zu internationalem Einfluss zu verhelfen. 'Das geht uns nicht an', sagte Horowitz. 'Sie haben sich seit einiger Zeit sehr direkt und sinnvoll in ihrer Rolle als Kulturförderer engagiert. Ich meine, ihr kulturelles Engagement ist bekannt, tiefgreifend und ziemlich visionär.'“ Die Argumentation der Fifa seinerzeit war ähnlich.

Mit Handtaschen, Turnschuhen und Juwelen versuchen sich die großen Auktionshäuser über die Flaute im Kunstmarkt zu retten, ist einer Analyse von George Nelson für Artnews zu entnehmen: „Da jedoch die Verkäufe von hochwertigen Kunstwerken weiterhin stagnieren, setzen Auktionshäuser zunehmend auf Luxuskategorien. Laut dem Marktforschungsunternehmen ArtTactic gingen die Verkäufe von Kunstwerken bei Christie's, Sotheby's und Phillips im ersten Halbjahr 2025 im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Jahr 2022 um 44 Prozent zurück. Das ist ein Loch von rund 3 Milliarden Dollar, das gestopft werden muss, was die Auktionshäuser offenbar mit Erlösen aus dem Verkauf von hochwertigen Handtaschen, Schmuck, Wein, Whisky und Sammlerautos tun. Laut einem weiteren Bericht von ArtTactic erreichten die Verkäufe von Luxusgütern in der ersten Hälfte des Jahres 2024 einen Marktanteil von 18,8 Prozent nach Wert – und stiegen bis 2025 auf 20,2 Prozent.“ Zu ähnlichen Schlüssen komme ich bei Monopol (Paywall).

Dazu passt folgende Meldung von George Nelson für Artnews: „Sotheby's wird im Dezember dieses Jahres seine erste Reihe von Luxusauktionen in Abu Dhabi veranstalten. Die unter dem Namen 'Abu Dhabi Collectors' Week' laufenden Auktionen finden vom 3. bis 5. Dezember statt und umfassen Autos, Uhren, Schmuck und Immobilien sowie eine Ausstellung mit Kunstwerken in 'Museumsqualität', von alten Meistern bis hin zu zeitgenössischen Künstlern. Die Auktionen, die in Zusammenarbeit mit dem Abu Dhabi Investment Office (ADIO) organisiert werden, finden im St. Regis Saadiyat Island Resort während 'einer der geschäftigsten und dynamischsten Wochen in der Region' statt, wie Sotheby’s in einer Erklärung mitteilte“. Sollte Gianni Infantino mal einen neuen Job brauchen und Sotheby's bis dahin noch existieren, böte sich da sicher eine Möglichkeit.

Einen erschütternden Einblick in die Unternehmenskultur bei Sotheby's bietet Sam Knights Reportage für den New Yorker (Paywall): „'Wenn Sie so denken, dann gehen Sie doch einfach', antwortete er [Drahi]. 'Das hier ist keine Demokratie. Das ist meine Firma, und ich leite diese Firma. Letztendlich sind Sie alle, jeder einzelne von Ihnen, ersetzbar.' Mit Blick auf [CEO Charles] Stewart fügte Drahi hinzu: 'Sogar Sie.' Es herrschte das Gefühl, dass die Ordnung zusammenbrach. Ein in London ansässiger Händler beschrieb eine Atmosphäre der 'Instabilität in den Räumen und das Gefühl, dass das Fachwissen verloren gegangen ist'. Dutzende von Mitarbeitern in der britischen Niederlassung von Sotheby's verloren im letzten Jahr ihren Arbeitsplatz. Gerüchte und Paranoia verbreiteten sich auf dem Markt. 'Es ist so, als würde man sich fragen, wie man ohne diese Leute, die entweder entlassen wurden oder das Unternehmen freiwillig verlassen haben, überleben soll', sagte der leitende Angestellte. 'Was ist mit meiner Bezahlung passiert? Wie lange werden Sie noch da sein? Ich werde nicht hier sitzen und so tun, als wären das keine Gespräche, die ständig unter unseren Kunden geführt werden.'“ Eine Zusammenfassung des Berichts bietet Harrison Jacobs bei Artnews.

Als wäre das nicht genug Ärger für Sotheby's, deckt Angelica Villa bei Artnews auch noch Probleme der unternehmenseigenen Ausbildungsstätte auf: „Das Sotheby’s Institute of Art, eine gewinnorientierte Hochschule mit Standorten in London und New York, steht laut bisher unveröffentlichten offiziellen Aufzeichnungen seit fast zwei Jahren unter einer der strengsten Finanzaufsicht des US-Bildungsministeriums. Seit Dezember 2023 gilt für die Hochschule die Einstufung 'Heightened Cash Monitoring 2' (HCM2), die vom Bildungsministerium verwendet wird, wenn es erhebliche Bedenken hinsichtlich der Finanzen oder Compliance-Praktiken einer Hochschule hat. Derzeit haben weniger als 50 Schulen in den USA diesen Status, die meisten davon sind kleine religiöse oder Kosmetikschulen. Unter HCM2 ist es einer Schule untersagt, finanzielle Unterstützung des Bundes im Voraus zu erhalten, sondern sie muss stattdessen ihre eigenen Mittel vorstrecken und eine Erstattung beantragen. Die Einstufung wird von Analysten oft als Warnung an potenzielle und aktuelle Studenten interpretiert, dass eine Einrichtung möglicherweise von der Schließung bedroht ist.“

Das Ende der Kunstkritik beklagt die anonyme Kunstkritikerin The Art Daddy im Observer: „Unterdessen schrumpft die Welt der traditionellen Kunstmedien rapide. Artnet, einst als digitaler Pionier und Leuchtturm des seriösen Kulturjournalismus gefeiert, wurde Anfang dieses Jahres vom Hedgefonds Beowolff Capital aufgekauft – einem Unternehmensgiganten, der keinerlei Interesse an der Förderung redaktioneller Integrität hat, sondern vielmehr mit Begeisterung Budgets kürzt, um die Gewinnmargen zu steigern, und Redaktionsteams ausdünnt. Derselbe Hedgefonds hält eine Mehrheitsbeteiligung an Artsy, dem digitalen Marktplatz mit einer Redaktion, die ohnehin schon stark ausgelastet war. Angesichts der bevorstehenden Konsolidierung ist es so gut wie sicher, dass die redaktionellen Ressourcen ausgehöhlt oder zu einer schlankeren, härteren Content-Maschine umgestaltet werden. Das bedeutet den Niedergang von durchdachter, unabhängiger Kritik zugunsten von Clickbait und gesponserten Inhalten, die darauf ausgelegt sind, Kunst zu verkaufen, statt sie zu hinterfragen. Die Penske Media Corporation, ein Unternehmensgigant, der mehrere große Kunstpublikationen besitzt, darunter ARTnews, Art in America und Artforum (sowie Variety, Rolling Stone und andere), hat ebenfalls seinen Einfluss verstärkt und die redaktionelle Freiheit unter die eiserne Faust der geschäftlichen Prioritäten gestellt. Das Ergebnis ist eine Homogenisierung der Inhalte, bei der unabhängige Stimmen gedämpft oder an den Rand gedrängt werden und der Schwerpunkt auf marktfreundliche Geschichten verlagert wird, die Werbekunden und Sponsoren zufriedenstellen, anstatt Leser oder Brancheninsider herauszufordern. The Art Newspaper und Hyperallergic sind die letzten echten Barometer des unabhängigen Kunstjournalismus“. Wenn das Propaganda-Organ Hyperallergic als letzte Bastion des unabhängigen Kunstjournalismus gelten muss, kann man allerdings wirklich alle Hoffnung fahren lassen.

Wie deutsche Auktionshäuser Kunden jenseits des klassischen Katalogs ansprechen, untersucht Julia Schymura für die FAZ: „Einig sind sich Donecker, Hanstein und Ketterer in einem Punkt: Der Auktionskatalog auf Papier werde so schnell nicht verschwinden. Zwar druckten sie weniger Kataloge als früher, dafür aber aufwendiger gestaltete. Wenn man, wie vor dreißig Jahren, Bilder in Briefmarkengröße drucke und nichts außer 'Öl auf Leinwand' darunter schreibe, locke man niemanden mehr, sagt Mariana Hanstein. Ausführliche Texte begleiten in den Katalogen von Lempertz Abbildungen von hoher Qualität. 'Wir bieten Luxus, und wir müssen die Objekte entsprechend schön inszenieren. Damit drücken wir auch unsere Wertschätzung für das jeweilige Kunstwerk aus' – und für diejenigen, die Werke zum Verkauf beim Auktionshaus einliefern.“

Warum Künstler ihren Nachlass schon zu Lebzeiten regeln sollten und was dabei zu beachten ist, erklärt die Beraterin Loretta Würtenberger bei Monopol: „Welche Werke sollen in das persönliche Erbe übergehen, welche in den künstlerischen Nachlass? Was geschieht mit posthumen Güssen, mit der Öffnung von Archiven, mit digitalen Beständen? Wie soll das Werk erinnert werden, und wie lässt sich diese Arbeit dauerhaft finanzieren? Wer soll sich verantwortlich zeichnen – Familienmitglieder oder Dritte? Können oder wollen Angehörige diese Aufgabe übernehmen? Wenn Dritte involviert werden sollen: Wer ist geeignet, und wie sollten Gremien einer Stiftung zusammengesetzt sein? Wie entwickelt sich ein Nachlass zu einer eigenständigen Instanz – neben dem Werk, aber in Verbindung mit ihm? Hinzu kommen ganz konkrete Vorbereitungen: Wie lassen sich Archive strukturieren, welche Kooperationen mit Forschungseinrichtungen sind sinnvoll, wie sehen verlässliche vertragliche Grundlagen mit Galerien oder Institutionen aus? Grundsätzlicher gefragt: Was ist zu tun, damit das Werk auch in Zukunft rezipiert und immer wieder in neue Kontexte gestellt werden kann?“

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Dr. Stephan Zilkens | Zilkens Kunstversicherung