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Kobels Kunstwoche

20 Jahre Frieze London; Foto Stefan Kobel
20 Jahre Frieze London; Foto Stefan Kobel
Stefan Kobel

Stefan Kobel

Kobels Kunstwoche 42 2023

Wenn ein Kurator eines hippen privaten Kunstzentrums in Berlin mit Bildern vom Abschlachten friedlicher Festival-Besucher auf Instagram die Opfer verhöhnt und die „poetic justice“ der Terroraktion feiert, ist dem jungen Mann offensichtlich der ethische Kompass abhanden gekommen. Der Zynismus, der aus solchen Äußerungen spricht, die in den sozialen Medien gar nicht einmal so selten sind, erschüttert. Die Verbrecher der Hamas, die sich hinter der eigenen Bevölkerung im Gaza-Streifen verstecken, um durch ihre Gräueltaten in Israel eine Reaktion zu provozieren, die den Gegner vor der Welt bloßstellt, sind in ihrer Menschenverachtung kaum zu überbieten. Warum es bei der Beurteilung dieses Verbrechens keine „zwei Seiten“ geben kann und warum Schweigen für ansonsten politisch engagierte Menschen keine Option ist, erklärt Sascha Lobo sehr einfach im Spiegel: „Die Hamas ist eine islamistische Terrororganisation, die Augenzeugen zufolge Kinder getötet, Festival-Besucherinnen zuerst vergewaltigt und dann umgebracht hat. Viele Berichte über die Gräueltaten der vergangenen Tage stammen von der Hamas selbst. Bei dem Überfall auf ein Kibbuz sollen Terroristen das Smartphone einer Großmutter an sich genommen, sie ermordet, dabei die sterbende Frau mit ihrem eigenen Smartphone gefilmt und das Video über ihren privaten Facebook-Account verbreitet haben, so schildern es Verwandte. Es handelt sich um eine neue Dimension des Social-Media-gestützten Terrors. Es gibt dafür in keiner Welt eine Legitimation. Das ist kein 'palästinensischer Freiheitskampf', das ist ein seit Langem angekündigter, offen geplanter, versuchter Genozid einer Terrororganisation. Du wärst zu Recht nie auf die Idee gekommen, damals bei 'Je suis Charlie', auch mal die Seite der Attentäter von Paris genauer zu betrachten, um dann abzuwägen. Du warst richtigerweise empathisch und solidarisch.“

Eine Idee von der Spaltung der israelischen Gesellschaft vermittelt der Künstler und Kurator Liav Mizrahi im Interview mit Philipp Hindahl für Monopol: „Es ist jetzt wirklich wichtig, die Geiseln zurück nach Israel zu bringen. Ich habe das Gefühl, wenn wir nicht über sie sprechen, werden die Menschen sie vergessen. Ich denke, es ist wichtig zu sagen, dass Israel die Hamas als Organisation ausschalten muss, aber auf keinen Fall zwei Millionen Menschen töten darf. Wir trauern jetzt, weil sie unschuldige Menschen umgebracht haben, aber ich möchte nicht auf der anderen Seite stehen und andere Menschen töten. Ich bin sicher, dass die Kunst zurückkommen wird.“

Das, gelinde gesagt, schwierige Verhältnis der sich gerne als progressiv gebenden Kunstwelt zu Israel und den Juden untersucht Erica Zingher in der taz: „Antisemitische Kritik an Israel gehört in der Szene zum guten Ton. 'Wir bekommen aktuell mit, wie sich Kurator:innen, Künstler:innen und andere Menschen aus dem Kunst- und Kulturbereich kritisch zu Israel äußern, wie sie Gewalt verharmlosen. Wenn ein Pogrom gegen Juden stattfindet, scheint das für viele akzeptabel zu sein', sagt Stella Leder [Mitbegründerin des Instituts für Neue Soziale Plastik]. Dass es sich längst nicht um Einzelfälle handelt, sondern um ein strukturelles Problem, darauf weist auch das Institut für Neue Soziale Plastik immer wieder hin. Leder beklagt, dass es seit der Documenta fifteen weder auf Bundesebene noch auf Ebene der Länder kulturpolitische Konsequenzen gegeben hat.“

Latenten Antisemitismus wirft Boris Pofalla in der WeLT (Paywall) Teilen der Kunstszene vor: „Die Kunstwelt, das zeigte sich schon in der trotzig-apologetischen Reaktion auf die Documenta fifteen, hat sich in den letzten zehn Jahren noch jedem antiisraelischen Klischee bereitwillig geöffnet, sie hat Antisemiten in ihre Institutionen gelassen und Propaganda für bedeutsam ausgegeben. Sie hat der Menschenverachtung Freiräume gewährt und für all das hat sie Fördergelder und Respekt eingefordert. Nicht zuletzt europäische Ausstellungshäuser haben so massiv zur Legitimierung von Israelhass beigetragen. Die israelische Kunstkritikerin Hili Perlson spricht in diesem Zusammenhang von einer 'langsamen Dehumanisierung' ihrer Landsleute. Und jetzt? Das Schweigen der Institutionen, Künstler und Kuratoren angesichts der barbarischen Taten der Hamas ist ohrenbetäubend. Die Szene wird erst zu hören sein, wenn sie Israel für den Gegenschlag verurteilen kann. Und das wirft Fragen auf, die nun so quälend werden, dass niemand sie ignorieren kann. Und für die diese stellvertretend steht: Müssen Kuratoren, die den Jubel der Palästinenser über die 700 Toten teilen, Professuren bekommen, wie Reza Afisina und Iswanto Hartono an der Kunsthochschule in Kassel? Die Antwort ist ganz und gar eindeutig: Nein. Nein, auf keinen Fall.“

Der gerade bei der HfG in Karlsruhe ausgeschiedene tschechisch-deutsche Medienkünstler Michael Bielicky sieht hinsichtlich der Förderstruktur im Gespräch mit Andreas Schreiner für die NZZ ein generelles Problem: „Ich bin extrem kritisch gegenüber dem Gestus der heutigen zeitgenössischen Kunst. Die Künstler denken oft, sie hätten nur Bedeutung, wenn ihre Kunst per se politisch sei. Das heisst, viele machen jetzt eine bewusste postkoloniale oder auch genderkritische Kunst. Und sie machen das auch, weil sie dafür Fördergelder bekommen, Unterstützung von den Museen. Es ist ein Missbrauch der Kunst. Ich kenne wirklich viele, die mitmachen, um weiterzukommen.“

Eine unterhaltsame polemische Kritik der Frieze London und der auf ihr gezeigten aktuellen Kunstproduktion hat Jonathan Jones für den Guardian verfasst: „All das macht solche Bilder zu einem schönen Hingucker an der Wand, oder? Nur wenn man eine sehr hohe Toleranzschwelle für Langeweile hat. Sie lenken bestenfalls einen Moment lang ab. Von einer künstlerischen Revolution oder Herausforderung ist hier nichts zu spüren. Die großen Umwälzungen der modernen Kunst scheinen nicht nur auf der Frieze ein Ende zu gefunden zu haben. Es ist, als hätte es sie nie gegeben. Was auch immer man von Picassos Privatleben hältst, er hat die Grundlagen der westlichen Kultur erschüttert. Heute hingegen dient die Kunst nur noch dazu, auf geschmackvolle, bestätigende und fade Art und Weise zu unterhalten. Die Frieze hat sich zu einem Schnarchkonzern entwickelt. Wurden die Galerien von seinen Big Business-Eigentümern aktiv dazu ermutigt, sich selbst zu disneyfizieren? Oder ist das einfach die Art, wie Kunst heute ist? [...] Die Menschen, die diese zaghaften künstlerischen Bemühungen bewundern, tragen zwar keine Zylinder und Reifröcke, aber wir könnten uns genauso gut in der Royal Academy im Jahr 1850 befinden.“

Wirklich begeistern kann sich auch Stephanie Dieckvoss vom Handelsblatt nicht, weder für die eine, noch für die andere Frieze: „Die Großgalerien gehen ganz auf Nummer sicher. Die Kosten sind hoch, da soll für jeden Geschmack etwas dabei sein. David Zwirner, Thaddaeus Ropac, Lisson, Pace, Perrotin und viele andere zeigen wie in einem Gemischtwarenladen einen Mix von großformatigen Bildern. […] Auf der anderen Seite des Regent’s Parks, bei der 'Frieze Masters' geht es wie immer gesetzter zu. Sie verengt sich immer mehr auf die Kunst der Nachkriegszeit, vor allem der 1950er- bis 1980er-Jahre. Auch die Abteilung 'Modern Women' blickt auf diese Epoche. Man kann sich fragen, wo der Unterschied zur 'Spotlight'-Sektion ist, in der seit Jahren vor allem die Kunst von Frauen wiederentdeckt wird. Das ist wichtig und bringt Überraschungen. Aber manchmal denkt die Flaneurin, dass es schon Gründe gab, warum manche Positionen in Vergessenheit geraten sind.“

Die Frieze-Fahne hält die London-Korrespondentin der FAZ Gina Thomas hoch: "Es ist immer wieder die Rede davon gewesen, dass die Frieze ausgebrannt sei, dass der Brexit und die Konkurrenz durch Paris+ par Art Basel ihr den Spitzenrang streitig machten. Die Preise mögen nicht ganz so saftig und der Mut zum Risiko geringer sein, in den Gängen aber schaukelte sich die Stimmung hoch, und es wurden rege Absätze gemeldet." Letzteres ist allerdings kein gültiges Argument; diese aktionistischen Vollzugsmeldungen pumpen mittlerweile fast alle größeren Galerien ab dem ersten Eröffnungstag in die Postfächer der Journalisten.

Welche Stände ihr bei einem Rundgang über die Frieze aufgefallen sind, erzählt Silke Homann bei Monopol. Ich war für den Tagesspiegel auf der Frieze und habe für Artmagazine auch noch Satellitenmessen besucht.

Von den insgesamt mittelprächtigen Auktionen bei Phillip's, Christie's und Sotheby's in London berichtet Colin Gleadell bei Artnet.

Als Galeriestandort sei London jedoch nach wie vor attraktiv, glaubt Vivienne Chow bei Artnet: „Für asiatische Kunsthändler, die auf dem globalen Markt Fuß fassen wollen, ist London immer noch eine der besten Anlaufstellen. Viele kennen London noch aus der Zeit der britischen Kolonialherrschaft über Hongkong, das in den 1980er und 90er Jahren kulturell einflussreich in der Region war. Auch nach der Übergabe an China im Jahr 1997 ist Hongkong eine wichtige Drehscheibe für den Kunsthandel im asiatisch-pazifischen Raum geblieben. Da die asiatische Kunstszene und der Kunstmarkt weiter wachsen, sind Galeristen vom Kontinent daran interessiert, Möglichkeiten außerhalb der Region zu erkunden, und London, wo sich 20 Prozent der Bevölkerung als Asiaten identifizieren, wird zu einer ersten Wahl.“

Nicht nur Sammler, sondern auch Künstler hat Monopol unter den laut Manager Magazin 500 reichsten Deutschen ausgemacht: „Auch ein Künstler und eine Künstlerin sind unter den 500 reichsten Menschen in Deutschland. Auf Platz 293 mit einem Vermögen von 0,7 Milliarden Euro sieht das 'Manager Magazin' Gerhard Richter, Rosemarie Trockel steht mit einem Vermögen von 0,39 Milliarden auf Platz 500.“

Den dritten Art + Tech-Report über das Sammeln digitaler Kunst habe ich für das Handelsblatt gelesen.

Den Vorwurf, bei der moralischen Beurteilung des Handels mit Kunst und NFTs mit zweierlei Maß zu messen, erhebt Annika von Taube bei Monopol – wem gegenüber eigentlich? Anlass ist ihr eine im August erlassene Strafmaßverkündung gegen einen ehemaligen Mitarbeiter der NFT-Handelsplattform OpenSea zu einem Urteil vom Mai: „Tatsächlich konnte hier von Insiderhandel keine Rede sein − beziehungsweise wenn die Nutzung des Wissens darum, wann wo welche Kunst angeboten wird, strafbar wäre, dann säße die halbe Kunstwelt im Knast. Nein, hier wird definitiv mit zweierlei Maß gemessen. Am Ende aber ist es egal, welcher moralische Maßstab an welchen Markt gelegt wird. Hauptsache, es bleibt weiterhin Raum für einen kreativen Umgang mit Preisgestaltung und Warenabwicklung – denn wäre das Kunstkaufen so transparent reguliert wie der Einkauf an der Supermarktkasse, es gäbe keinen Kunstmarkt mehr.“ Tatsächlich erfolgte die Verurteilung jedoch nicht wegen Insiderhandels, sondern wegen des Diebstahls vertraulicher Informationen vom Arbeitgeber. In den Pressemitteilungen wurde daraus jedoch ganz schnell Insiderhandel. Ansonsten wäre der Fall nämlich keine Schlagzeile wert gewesen.

Kunsthandelsarchive sind eine wichtige Quelle für die Provenienzforschung. Doch nicht alle Firmen oder deren Erben gehen transparent mit dem Thema um, hat Hubertus Butin für die FAZ recherchiert: „Madeleine Albright, die ehemalige amerikanische Außenministerin, deren Familie im Holocaust ermordet wurde, forderte 1998 bei der Washington Conference zur NS-Raubkunst: 'Wir müssen nach der Wahrheit graben. Das bedeutet, dass alle Forscher Zugang zu allen Archiven haben müssen, und damit meine ich vollständigen Zugang überall und ab sofort.' Dieser Forderung kommen verschiedene private Archive bis heute allerdings nicht nach. Dazu gehört auch das Paul Cassirer Archiv & Walter Feilchenfeldt Archiv in Zürich: Es ist nicht öffentlich zugänglich und bleibt in seinem Bestand intransparent.“

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Dr. Stephan Zilkens | Zilkens Kunstversicherung