Zilkens Newsblog

William Kentridge: Dear Diary - gesehen im Museum Folkwang- Foto Stephan Zilkens
William Kentridge: Dear Diary - gesehen im Museum Folkwang- Foto Stephan Zilkens
Portraitfoto von Dr. phil. Stephan Zilkens

Stephan Zilkens

Newsblog 1. KW 2026

Jetzt hat das alte Jahr nur noch drei Tage und in dieser Woche beginnt ein neues Jahr. Zeit ein wenig zurückzuschauen auch in dem Versuch zu verstehen, warum so Vieles aktuell in zunächst irritierende Richtungen läuft. Dazu benötige ich mehr Zeilen, als normalerweise unseren Lesern zugemutet wird - aber vielleicht ist die Zeit mit reduzierten Neuigkeiten auch eine in der man mehr zum Lesen kommt. Dabei möchte ich von zwei scheinbaren Antipoden sprechen - der eine, Ernst Bloch (1885-1977), ein marxistischer Philosoph, dessen Herleitung des Faschismus als Phänomen der Ungleichzeitigkeit mir zu Schulzeiten nahegebracht wurde und die andere, Hannah Arendt (1906-1975), die mich wohl darum wissend nach meiner Wahl zum Schülersprecher fragte, ob denn bei der Wahl alles mit rechten Dingen zugegangen sei und erst, als ich das bejahte mir dazu gratulierte.

Wir nehmen heute die Welt und unsere nähere Umgebung als etwas sehr Komplexes, Parzelliertes bis hin zur Spaltung und Unversöhnlichkeit in der Auseinandersetzung um eine Sache wahr, in der es nicht mehr um das beste Argument und eine gemeinsame Perspektive geht, sondern um Macht, die sich entweder durch mediale Sendungshoheit oder durch Algorithmen gesteuerte Emotionsverstärkung äußert. Die Einen versuchen durch Ratio und Vernunft in die emotionalen Schichten der Anderen einzudringen, um sie auf eine gemeinsame Reise mitzunehmen. Und genau da ist der Haken, wenn man sich vor Augen führt, was Bloch mit Ungleichzeitigkeit gemeint hat: Kurzfassung: Nicht alle Menschen leben zur selben Zeit in derselben Zeit. Für die Weimarer Republik galt, dass in der Gesellschaft hochindustrielle, moderne Lebensformen neben vormodernen, traditionellen und autoritären Denkweisen existierten. Objektiv in der Moderne leben aber emotional mit einem Wertekanon, der nicht mit in die neue Zeit genommen werden will. Auf heute übertragen bedeutet das, wir leben mit globalen Netzwerken (ökonomisch und kommunikativ), nutzen KI, sprechen mehrere Sprachen, reisen und doch herrscht Angst vor der Globalisierung und dem Verlust von eingeübten Rollenbildern. In Letzterem dürfte auch die zum Teil clanhafte Abgrenzung von Menschen aus anderen Kulturkreisen in unseren Ländern begründet sein. Das kann auch dazu führen, dass die Wahrnehmung der Welt als unübersichtlich, beschleunigt, identitätsauflösend oder moralisch widersprüchlich wahrgenommen wird, was im Effekt dazu führt, dass man sich in Erklärmuster flüchtet, die diesen Gefühlen entgegenwirken. Sowohl die AfD als auch die Linken in Deutschland haben es verstanden diese emotionale Ebene aufzufangen und sind dadurch zu den Wahlergebnissen gekommen, die viele Kommentatoren allerlei Geschlechts nur unzureichend und mit Hang zur Tabuisierung erklären. Politik, die versucht diese Gefühle mit rein rationalem Handeln zu beruhigen muss scheitern. Wer nur mit Fakten antwortet, verfehlt die Ebene, auf der das Problem entsteht. Die sozialen Abstiegsängste werden auch durch Definitionen aus dem sozialen Bereich, wie der Armutsgrenze, zusätzlich befördert, obwohl es gerade in Deutschland ausreichende Netze gibt. Wer heute Begriffe wie Heimat und Nation verwendet sieht sich oft einer skeptischen Haltung in der Öffentlichkeit gegenüber. Das aus gut gemeintem Gleichheitsdenken sich entwickelnde Verändern der Sprache, das von Vielen aller geschlechtlichen Seinsformen und Neigungen als Vergewaltigung der eigenen Denkmöglichkeiten und Bevormundung empfunden wird trägt auch zur Verstärkung der Ungleichzeitigkeit bei. Womit wir bei Hannah Arendt wären, für die die Auflösung traditioneller Ordnungen in Verbindung mit ideologischer Polarisierung Ursachen für die Entstehung totalitärer Herrschaften unabhängig von den politischen Vorzeichen waren.  Ansätze davon sind gerade in den USA zu beobachten. In manchen Hinterzimmern in Europa wird an ähnlichem gearbeitet. Europa ist ein hochkomplexes Gebilde, dass sich allerdings auch auf Grund seiner auf Jahrhunderten von Kriegen untereinander aufbauenden Struktur, Kultur- und Sprachenvielfalt Menschen die Veränderung mit hoher Zurückhaltung begegnen nur extrem schwer als Zukunftsmodell vermitteln lässt, obwohl es gerade jetzt bitter nötig wäre. Vielleicht muss man Bloch und Arendt zusammendenken, um zu verstehen warum sich Menschen radikalisieren und politische Kommunikation in Manipulation umschlägt. Erkenntnis als erster Weg zur Besserung – das wäre doch auch ein Wunsch zum neuen Jahr.

In Mar Al Lago nichts Neues - oder doch? Kein Show Down à la White House und Fortsetzung der Gespräche zwischen Trump und Selensky. Europa ist nur Zaungast und soll die Sicherheitslast tragen. Am Ende wird dem Agressor noch Land gegeben, dass er ursurpiert hat. Frieden schaffen ohne Waffen wird durch die Realität in den Bereich der Utopie verbannt. Derweil umzingelt China Taiwan und überwindet seine enormen inneren Gegensätze durch staatliche, ideologische Führung und daraus folgend totalitäre Gewalt im pseudodemokratischen Gewand des Volkskongresses. Aber Shanghai und Hong Kong sind Orte an denen zeitgenössische Kunstmessen stattfinden auf denen Millionen umgesetzt werden.

Kurz vor Jahresende starben Arnulf Rainer, dessen Übermalungen Realitäten überdeckten, um neue zu schaffen, mit 96 und Brigitte Bardot, die zunächst als Sexsymbol der 50ger und 60ger Jahre des vorigen Jahrhunderts und später als Tierschützerin zur Veränderung der Frauenrolle beigetragen hat, mit 91.

So gar nicht zur erhofften Aufbruchstimmung ins neue Jahr passt der kommentierte Blick in die Presse des letzten halben Jahres von Stefan Kobel, bei dem es um die Galerien geht. Aber auch hier gilt „Schreiben, was ist!“ – soll von Rudolf Augstein stammen aus einer Zeit in der es noch zwei Deutsche Staaten gab.

Wir wünschen allen friedliche Tage bis zum Jahreswechsel und einen guten Rutsch ins neue Jahr

Stephan Zilkens und das Team der Zilkens Fine Art Insurance Broker GmbH in Köln und Solothurn